Sr. Wohlgebohren
Herrn Medizinalrath Dr. Schelling
in
frey.
München den
Liebster Bruder!
Als ich den letzten Brief an Dich zu dictiren anfieng, war es die Absicht, Dir von meiner Krankheit, als einem der Hauptsache nach beendigtem Uebel, Nachricht zugeben. Die Schwäche erlaubte mir nicht fortzufahren, und meine gute Frau ergriff die Feder, welche natürlich sehr geängstigt und sorgenvoll, indem sie Dir den ganzen früheren Verlauf wiederholte, Deine Besorgnisse im hohen Grade erregen musste. Ich empfinde ganz Deine zärtliche Theilnahme und den Werth der Entschließung die Du zu meinem Besten zu fassen im Begriff standest, aber ich bedaure von Herzen die große Bekümmerniß und Beunruhigung in die Du gesetzt worden bist, und danke dem Himmel, daß es nicht zur Ausführung Deines Entschlusses gekommen, der uns beyden noch mehr Leid hätte verursachen können. Ich begreife übrigens sehr wohl die Fortdauer Deiner Besorgnisse, denn ich selbst, die Wahrheit zu gestehen, habe bis jetzt nicht begreifen können, wie nach einem so heftigen Anfall die Gewalt des Fiebers so plötzlich gebrochen und alles zum Stillstand gebracht seyn konnte, ohne daß irgend ein tückischer Feind noch im Hintergrund lauerte. Selbst die gastrischen Complicationen die Du fürchtetest, waren ganz unbedeutend. Von der ganzen Sache ist nichts geblieben, als ein beständiger Reitz zum Husten auf der Brust, den ich wahrscheinlich nur sehr langsam überwinden werde; es scheint nicht bloße Anhäufung von Schleim, sondern zugleich etwas Krampfhaftes im Spiel. Meine gute Frau ist endlich auch ihren Anstrengungen erlegen, sie darf heute das Bett nicht verlassen; darum schreibe ich Dir, um Dich sobald als möglich vollständig zu beruhigen. Alle Functionen gehen ihren ordentlichen Gang; ich schlafe 6–8 Stunden ohne beunruhigende Träume und noch weniger Delirien; der Appetit ist im Zunehmen, und es müsste etwas gegen alle Erwartung geschehen, wenn aus dem schwachen Rest von Affection der Brust noch ein neuer bedenklicher Feind sich erheben sollte. Das Schlimmste ist, daß ich noch recht viele Zeit nöthig haben werde, wieder zu Kräften zu kommen. Sey also nun ganz ruhig liebster Bruder, es wird langsam, aber es wird doch ohne Aufenthalt und Rückfall zur Besserung fortschreiten. Habe Dank für alle Deine Liebe und erhalte Dich selbst gesund.
Mit zärtlichster Gesinnung
Dein tr˖[euer] Bruder
Fr