Schelling

Schelling Nachlass-Edition


Hochwohlgebohrner,
Hochzuverehrender Herr,

Ew. Hochwohlgebohrn kamen mir, als ich vor im Karlsbade das Glück hatte Ihnen bekannt zu werden, mit so freundlichem Wohlwollen entgegen, daß ich es glaube wagen zu dürfen, Ihnen eine Schrift von mir zu überreichen und dabey zu hoffen, Sie werden dieselbe nicht weniger günstig und nachsichtig aufnehmen, als den Verfasser.

Sie scheint zwar wenig geeignet zu seyn Ihnen vorgelegt zu werden, da sie sich zu den Höhen der Speculation, wo Ihr scharfsinniger Geist einheimisch ist, nicht erhebt. Indessen weiß ich, daß Sie dies nicht hindert, sich auch mit den niedrigern Sphären unserer Erkenntniß zu beschäftigen, und habe in den Unterredungen, die Sie mir vergönnten, so manchmal die Vielseitigkeit Ihres Interesse für die verschiedenartigsten Zweige der Wissenschaften und Künste und Erscheinungen im praktischen Leben bewundert. Ich glaube daher hoffen zu dürfen, daß Sie auch meinem Versuche einige Aufmerksamkeit schenken werden. Zwar ist der Gegenstand, den er behandelt, wegen des Mißbrauchs, den man damit getrieben hat und hat treiben wollen, nicht in dem besten Rufe; jedoch werden Sie, wenn Sie meine Schrift auch nur einer flüchtigen Ansicht würdigen wollen, finden, daß ich das Brauchbare von dem Spielerischen und Nichtsnützigen abzusondern und einen geistlosen Mechanismus im Denken keinesweges zu befördern, mich wenigstens bestrebt habe. Ob mir dies überall wirklich gelungen ist, bezweifle ich freylich; aber von der Uiberzeugung kann ich mich allerdings nicht losmachen, daß das Aliquid, quod vidi per nebulam (wie ich es am Schlusse meiner Schrift nenne) ein nicht unbedeutendes Hülfsmittel zur Förderung der Wissenschaften und ihrer Anwendung im Leben ist und daß meine Andeutungen wenigstens dazu dienen können, andere glücklicher begabte zu nützlichen Untersuchungen über diese in so mancherley Fällen brauchbare und doch neuerlich fast ganz vergessene Art von Calcul und Brachygraphie aufzuregen.

Sollte mir Ihr Urtheil das letztere nicht absprechen, so würde mich dies sehr erfreuen und zugleich ermuthigen Sie zu bitten, auf den Gegenstand meines Versuchs in dem zahlreichen Kreise Ihrer Schüler und Verehrer aufmerksam zu machen, wenn Ihnen jemand vorkäme, der sich damit zu beschäftigen Lust und Beruf hätte. Ich muß diese Art von Empfehlung meiner Sache um so mehr wünschen, da ich von den recensirenden Blättern, mit deren Redacteurs ich in keiner Verbindung stehe, kaum eine Anzeige der wahren Tendenz meiner Schrift erwarten darf, geschweige denn ein Hear him, laut genug, um in diesem literärischen Getümmel durchzudringen.

Vielleicht verleitet mich die Vorliebe für einen Gegenstand, der mich fast von Jugend auf angezogen hat, daß ich ihm zu hohen Werth beylege und ich wünschte wohl, daß mir, wenn ich mich täusche, jemand die Augen öffnete. So viel kann ich jedoch versichern, daß an dem Wunsche, meine Darstellung desselben bemerkt zu sehen, ein eitles Verlangen nach Celebrität keinen Antheil hat. Ich bin durch die kleine, literärische Reputation, die ich mir in meinem Kreise erworben habe, völlig befriedigt. Weit eher wünsche ich mir etwas mehr Gesundheit, da das Karlsbad meinen täglich wiederkehrenden, jede Thätigkeit hemmenden Kopfschmerz zwar gelindert, aber nicht weggeschafft hat. Diesen , wo zu meiner gewöhnlichen Arbeit noch eine neue Beschäftigung – Vorlesungen über Geschichte für die Prinzessin Karoline, die Gemahlin unseres Erbprinzen – hinzukam, hat er mir manchmal das Leben sehr sauer gemacht.

Mögen Sie dem Karlsbade ein rühmlicheres Zeugniß geben! Möge Ihre Thätigkeit, von der so viel abhängt, von einer festen Gesundheit unterstützt werden! Möge das akademische Leben, dem Sie sich nach Ihren Wünschen wiedergegeben haben, alle Erwartungen, die Sie davon hegten, erfüllen! Diese Wünsche kommen mir vom Herzen; denn nicht blos auf kalter Bewunderung beruht die Achtung mit der ich Sie verehre und immer seyn werde
Ew. Hochwohlgebohrn
aufrichtig ergebenster

Chr. Aug. Semler
Bibliotheksekretär.