Schelling

Schelling Nachlass-Edition


Ich schicke Ihnen, lieber Freund, das obige Brief-Fragment, wie ich es im angefangen hatte zu schreiben, damit Sie Sich wenigstens von der damaligen guten Absicht überzeugen, Ihnen gleich wieder zu antworten. Immer wartete ich auf das fatale Stück vom Morgenblatt, am Ende erhielt ich es nicht; – so kam mir zuletzt auch dieser Brief aus dem Gesicht. sandten Seine Kön˖[igliche] Hoheit mir Ihren ganzen Aufsatz zu, mit dem Bemerken, daß Sie gewünscht haben, ich möchte die Herausgabe besorgen und daß auch S[ein]e˖ K˖[önigliche] H˖[oheit] damit einstimmen. Es wäre nicht anders als meine Schuldigkeit gewesen, Ihnen für das in mich gesetzte Vertrauen gleich herzlich zu danken. Glauben Sie mir, daß ich den Werth desselben innig fühlte; aber es war mir damals unmöglich zu bestimmen, wie bald ich die Herausgabe besorgen könnte. Ich dachte von Woche zu Woche dran zu gehen, aber stets neue Hindernisse setzten sich entgegen. Sie glauben nicht, wie traurig in dieser Hinsicht meine Lage in München ist; fast nicht ohne Thränen lese ich oft, was Winckelmann über seine goldne Freyheit, die Muße und Stille in Rom schreibt. Endlich im (nachdem ich fast die Hälfte des und durch den Umzug in eine neue Wohnung verloren hatte) wollte ich an die Redaction gehen; nun kam eine Krankheit, die mich an die 4 Wochen unthätig machte.

Jetzt endlich ist es so weit, daß der Druck beginnt und noch im Laufe des das Ganze (bey Cotta) gedruckt erscheint.

Nun habe ich Ihnen zunächst über mein Verfahren Rechenschaft zu geben. Ehe ich aber diese thue, kann ich nicht umhin, Ihnen über Ihren meisterhaften und trefflich gearbeiteten Aufsatz, den ich jetzt erst mit gehöriger Muße und so recht con amore lesen und durchdenken konnte, meine Freude zu bezeugen. Es bleibt doch ewig wahr, daß wer in Einer Sache ein gescheidter Mann ist, auch in andern sich als solcher erweiset. Diese kleine Schrift trägt durchaus das Gepräge Ihres reifen Urtheils, kerngesunden Verstandes, einer recht taktfesten Dialektik und des Ihnen eigenen Humors. Ich will Sie hier nicht im Scherz, sondern in vollem Ernste loben. Mir war, als hörte ich Sie reden, und wieder kam mir in die Seele, was ich seit unserer persönlichen Bekanntschaft so oft gedacht und empfunden habe, daß ich Wenige oder Niemanden in der Welt gefunden, mit dem ich mich getraute, freyer, heiterer, geistreicher und nach völliger Herzens- und Geisteslust zu leben, als mit Ihnen, welches freylich wunderbar genug ist, da wir übrigens so ganz verschiedne Dinge betreiben, ich nämlich – – doch dieß will ich nicht sagen um nicht mich selbst zu loben – Sie aber – wir wissen ja, was Sie außer der Kunst noch treiben und wovon man besser schweigt.

Nach diesem Preambule werden Sie nun von selbst vermuthen, daß ich bey der Bearbeitung Ihres Aufsatzes mit der größten Gewissenhaftigkeit zu Werk ging, nichts daran zu verderben, ihm seine Eigenthümlichkeit soviel möglich zu erhalten und nur diejenigen Verbesserungen des Styls vorzunehmen, welche schlechterdings vorgenommen werden mußten, wenn der Aufsatz gedruckt erscheinen sollte.

Von selbst versteht sich, daß ich an dem Materiellen ihrer Erklärungen und Äußerungen um so weniger Etwas geändert, da es lächerlich seyn würde, als Gelehrter, der die Gegenstände nicht einmal gesehen hat, irgend etwas besser als Sie wissen zu wollen, der mit dem Auge des Künstlers anhaltend und mit Ernst diese merkwürdigen Werke betrachtet.

Über einen Punct bin ich noch nicht mit mir selbst einig, was zu thun. Sie erklären sich so entschieden für die ägyptische Abstammung der griechischen Kunst, ja für die Identität des äginetischen und des ägyptischen Styls! Dieses nun ist eine Sache, die mir mehr als zweifelhaft scheint, sobald man nämlich etwas Historisches darüber behaupten will. Denn es ist so natürlich, daß auch das Verschiedenartigste und von einander Unabhängigste in den ersten Anfängen sich ähnlich ist; z.B. die unvollkommensten Pflanzen und die unvollkommensten Thiere sind nicht zu unterscheiden (daher Pflanzenthiere), während die vollkommensten himmelweit auseinanderstehen. – In der Folgezeit aber unterscheidet z.B. Pausanias den äginetischen Styl sehr bestimmt vom ägyptischen. Ich werde mir also vielleicht die Freyheit nehmen, über diesen Punct Ihre Äußerungen – nicht ins Gegentheil zu verändern, nur in etwas zu mäßigen.

Einige Anmerkungen werde ich beyfügen, damit ich doch als Herausgeber auch etwas gethan habe; doch werden diese Anmerkungen nicht Widersprüche, sondern mehr Erläuterungen Ihrer Ansichten enthalten.

Über den großen Punct (die Sonderbarkeit der Köpfe) wovon ich oben noch nach dem ersten Eindruck, da ich Ihren Aufsatz nur flüchtig hatte durchlesen können, geurtheilt habe, bin ich nun fast ganz Ihrer Meynung, oder vielmehr, ich habe sie jetzt erst in allen ihren Bestimmungen und einzelnen Theilen recht erwogen und verstehen gelernt. Ich glaube jetzt, Sie haben das rechte Maß getroffen, oder jene schmale Mittel-Linie, in welcher die Wahrheit liegt. Mir erscheint das Problem jetzt allgemeiner; nämlich es ist dasselbe Problem in Ansehung der ganzen Figuren: »Woher der Widerspruch zwischen dem Styl und der Ausführung?« Dieser Widerspruch ist nur natürlich bey den Köpfen und Gesichtern auffallender als bey den übrigen Körpertheilen. Es scheint mir aber nun auch gar nicht so unbegreiflich, daß jene Künstler sich vorerst in der Ausführung zu vervollkommnen suchten, und an die Ändrung des Styls erst später dachten. Daß indeß die gegenwärtigen Figuren Wiederholungen von früheren seyn könnten, und darin zum Theil der Grund jenes Widerspruchs liege, halte ich noch immer für möglich; nur müßte die Nachahmung nicht zu grob materiell sondern mehr geistig genommen werden.

Ihre nachgeschickten Zusätze und Verbesserungen sind an den gehörigen Stellen eingeschaltet worden.

Ich hoffe überhaupt, Sie sollen zufrieden seyn. Mir macht es nicht wenig Freude, Sie auf diese Art in die Schriftstellerwelt eingeführt zu haben; ich zweifle nicht, daß Sie die beste Aufnahme finden.

Sollten Sie mir noch etwas mitzutheilen haben, das während des Drucks noch benutzt werden könnte, so säumen Sie nicht damit.

Schreiben Sie auch, wie viele Exemplare Sie nach Rom zu erhalten wünschen. Ich werde Ihnen diese, nach Angabe S[eine]r˖ K˖[öniglichen] H˖[oheit] durch das Haus Carli et Comp. in Augsburg zukommen lassen.

Was Sie mir von der Aufnahme des neu-alt-deutschen Wesens in Rom schreiben, hat mich doch mehr noch belustigt als geärgert. Ich hoffte freylich, solche Jungen, wie der R˖[uhl] aus Cassel sollten mit einer tüchtigen Tracht Schläge von Rom nach Hause geschickt werden, die einzige Curart, die anschlagen möchte und deren sie werth sind. Es wird aber auch ohne das vorübergehen, zumal, Cornelius etwa ausgenommen, doch kein eigentliches Talent dieser Narrheit zu Hülfe kommt. Je nachtheiliger diese Wendung ist, desto mehr muß man wünschen, daß classische Werke wieder ein wahres Muster aufstellen. Jetzt werden Sie doch ruhig an Ihrem Orfeus fortarbeiten? Wann hoffen Sie ihn zu vollenden? Hoffentlich bringen Sie ihn selbst nach Deutschland. Verlieren Sie über allen diesen Tollheiten Ihren guten Humor nicht, bleiben Sie Ihrer großen und rechten Gesinnung treu und lassen Sie, wenn jenes Gemälde vollendet ist, gleich eine Anzahl von Werken aufeinanderfolgen. Es kommt nur auf Ihren Willen an, um ein großes und rüstig wirkendes Beyspiel aufzustellen.

Der Herr Subdiaconus, nach dem Sie so oft fragen, ist inzwischen ein vollkommner, nämlich hochmüthiger, Narr, und wie es bey solchen Leuten gewöhnlich am Ende geschieht ein schlechtes Subject geworden.

Noch bitte ich, mir zu schreiben, ob ich das Honorar, das ich vom Verleger für Sie erhalte, Ihnen durch Wechsel aus Augsburg übermachen, oder hier an Herrn von Gärtner auszahlen soll.

Recht viele Grüße an Friz Gärtner; bitten Sie ihn nochmals, sich des obenerwähnten Monuments anzunehmen, danken Sie ihm vorläufig für seine schöne Zeichnung, ich bin mit dieser ganz einverstanden, ich bitte ihn sich mit Thorwaldsen deshalb zu benehmen, denn was dieser billigt ist mir recht.

Leben Sie wohl, geliebter Giovanni. Ich bin Ihr alter getreuer

Sch