Sr. Wohlgeboren
dem Herrn Professor Köstlin
in
K˖[önigreich] Wirtemberg.
frey.
Hochzuverehrender Herr Professor!
Mit dem verbindlichsten Dank für die letzten Mittheilungen bitte ich die Bemerkung verbinden zu dürfen, daß, wenn »Klagen oder Vorwürfe« stattfinden könnten, letztere lediglich mich selbst treffen würden. Es war mein Fehler, zu großes Vertrauen in die Versicherungen gesetzt zu haben, die mir das Seminarium zu Urach als eine für Pauls Fortbildung und Erziehung ganz passende Anstalt bezeichneten. Es war Mangel gründlicher Erwägung und Entschlossenheit von meiner Seite, daß ich ihn nicht gleich nach dem ersten Jahr aus dem Seminar zurückzog und selbst das letzte Halbjahr ihn dort vollenden ließ, da ich nach den ersten Erfahrungen einsehen mußte, daß andre Maßregeln und Vorkehrungen zu seinem Besten von den gegenwärtigen Einrichtungen der Würtembergischen Seminarien nicht zu erwarten sey’n. Die Nothwendigkeit, für Paul Fürsorge zu treffen in einem Augenblick, wo eine bedeutende Verändrung meiner Lage und Verhältnisse vorgieng und neue Geschäfte meine ganze Aufmerksamkeit fortwährend in Anspruch nahmen, vielleicht auch die Erinnrung der eignen in glücklicher Unwissenheit über die innern Vorgänge der Seminarien erhaltnen Jugend, die mich, bey meinen Entschließungen hinsichtlich Paul’s, so wie in der Folge selbst meines zweyten Sohns, von dem allgemeinen Urtheil reiferer Jahre, daß solche Anstalten nur den Wenigen, die auch ohne sie gedeihen würden, ersprießlich, den Meisten aber verderblich sey’n, eine Ausnahme für die Würtembergischen machen ließ, sind zwar nicht Entschuldigungs- aber doch vielleicht Erklärungs-Gründe eines so lange fortgesetzten Zusehens. Durch eine vollständige Confession, die Paul seiner Mutter abgelegt, habe ich erfahren, daß ein Theil seiner Schulden an Commilitonen von Kartenspiel herrührt, ein andrer von Auslagen für Tabak und Bier, das Hospites und Seminaristen mit ihm auf dem obern Boden (der Bühne) tranken; der Bediente, der dabey bereitwillige Hülfe leistete, ließ sich dazu unter andern durch 3 neue Nachthemmden, eine wollene Jacke und anderes, das ihm Paul schenkte, gewinnen; selbst der, unstreitig in besondren Verpflichtungen stehende Famulus Blankenhorn ließ sich zu ähnlichen Dienstleistungen des Eßwaaren-Herbeyschaffens u.s.w. brauchen. Wie gern hätte ich längst Pauls Schulden bezahlt, wenn ich davon gewußt hätte, wenigstens um ihn der anhaltenden Quälerey von Personen zu entziehen, denen er auf diese Weise schuldig geworden war, und aus deren unausgesetzten, ihm keine Ruhe lassenden Verfolgungen der arme Mensch besonders die Gedankenlosigkeit und Nachläßigkeit seiner Arbeiten erklärt, welche, im letzten Halbjahr vorzüglich, einen wirklich unnatürlichen, auf besondre Verhältnisse und Störungen schon allein schließen lassenden Grad erreicht hatte! Ich erlaube mir diese Umstände nur darum zu citiren, weil deren Kenntniß für die Folge und für die Nachkommenden nützlich sey kann.
So schmerzlich mir nun nach erlangter vollständiger Übersicht, in sittlicher Hinsicht wie in geistiger (Mathematik ausgenommen; denn im Lateinschreiben scheint Paul in Urach sogar zurückgekommen) das Endresultat auch immer seyn muß, fühle ich doch, bey der Hoffnung, in dem engeren häuslichen Verhältniß, worein Paul nunmehr gesetzt ist, wenigstens die erwünschte sittliche Umlenkung noch bewirken zu können, das lebhafteste Bedauern darüber, daß ich durch diesen Sohn so große Unlust und soviel Unmuth Ihnen verursachen mußte, dem ich nach meiner innersten Gesinnung nur das Liebste und Erfreulichste in jeder Art zu wünschen, mich gedrungen fühlte.
Gewähren Sie mir also wenigstens die Beruhigung, denken zu dürfen, daß Sie diesen Erfolg, der nicht bloß nicht ungeschehen zu machen ist sondern auch unter den gegebnen Umständen nicht zu vermeiden war, Sich nicht zu Gemüth ziehen, und nichts von den unangenehmen Empfindungen, die Ihnen augenblicklich verursachen konnte, auf die Freundschaft einwirken lassen, die Sie von frührer Zeit an gegen mich gezeigt, und die ich nie aufhören werde, auf die herzlichste und hochachtungsvollste Weise zu erwiedern.
Meine Frau vereinigt sich mit mir in den besten Empfehlungen an Sie und an Ihre hochzuverehrende Frau Gemahlin, so wie in den innigsten Wünschen für Ihr allseitiges, fortdaurendes Wohlergehen.
Schelling.
N.S.
Die zur Tilgung der noch ausstehenden Posten und Berichtigung der ganzen Rechnung nöthige Summe, folgt mit der abgehenden fahrenden Post.