Schelling

Schelling Nachlass-Edition


Wenn ich auch dießmal wieder geraume Zeit erst nach Paul’s Zurückreise Ihre Mittheilungen, innig verehrter Herr und Freund, erwiedre, so habe ich als Entschuldigung nur anzuführen, daß immer in diesen , welcher bey uns der erste jedes neuen Geschäftsjahrs ist, alle Zeitraubenden Amtsarbeiten fallen. Paul hat sich während dieser Ferien, einige Rückfälle abgerechnet, im Ganzen wirklich anständiger betragen und überhaupt etwas mehr moralische Haltung als früher gezeigt. Die ernstlicheren, im verfloßenen Halbjahr genommenen Maßregeln waren doch nicht ohne allen Erfolg! Seine Fortschritte in der Mathematik übertreffen meine Erwartung. Der Lehrer, den Sie ihm in diesem Fach gegeben, muß wirklich ein trefflicher Kopf und Charakter seyn. Der Unterricht wurde auch während der Ferien fortgesetzt und es ist mein Wunsch, daß er in Urach ununterbrochen fortdaure. Paul meynte, 6 Stunden ließen ihm zu wenig Zeit für anderweitiges Selbststudium; ich muß dieß Ihrer Beurtheilung überlassen. Im Latein dieselbe Schwäche, und Unsicherheit (bey einer Composition, die er mit ängstlicher Furcht vor Fehlern verfertigte, fragte er sogar ob tot auch bey Masculinis gebraucht werde) im Ganzen, wie mir schien, durchaus kein Fortschritt! Sollte nicht ein Grund dieser auffallenden Unfertigkeit darinn liegen, daß er in den öffentlichen Stunden, wie in seinem Privatstudium, zu sehr auf sectarische Lectüre beschränkt ist? Da er im Griechischen doch verhältnißmäßig weiter vorgeschritten ist und das Latein immer die erste und nothwendigste Sache bleibt, so erlaube ich mir den unmaßgeblichen Vorschlag, die Einrichtung zu treffen, daß er im Privatstudium irgend einen dazu geeigneten Auctor cursorisch zu lesen angehalten werde. Auf ihn selbst kann man sich freyllich dabey nicht genug verlassen; recht gern aber würde ich einen der Seminaristen, auf den man sich verlassen könnte, remuneriren, wenn dieser es übernähme, mit Paul täglich eine Stunde, etwa den Livius, so zu lesen, daß sie in diesem Halbjahr die 10 oder doch wenigstens die 5 ersten Bücher zurücklegten. – Die hebräischen Compositionen sind im höchsten Grade tadelhaft, schon wegen der Nachläßigkeit, an die er sich dabey gewöhnt. Größere Strenge würde also schon aus diesem allgemeinen Grunde nöthig seyn; übrigens verlange ich im hebräischen (da ich an der Möglichkeit, ihn Theologie studieren zu lassen, was er jedoch selbst nicht zu wissen braucht, immer zweifelhafter geworden bin) und ebenso im Griechischen nur soviel Fortschritte, als nöthig sind, ihn vor dem Rückschreiten zu bewahren; dagegen ist mein Wunsch, daß er in diesem Jahr, neben der Elementar-Mathesis, doch wenigstens des Lateins sich völlig bemächtige, so weit nämlich, um es mit Sicherheit und correct schreiben zu können. Im übrigen wünsche ich keine der Maßregeln, welche im verfloßnen Halbjahr doch einigermaßen wirksam sich erwiesen, aufgehoben oder zurückgenommen. Nur die größte Consequenz in Fortsetzung und Handhabung derselben gewährt die Hoffnung, eine leider zu tief angewöhnte Flüchtigkeit und den gedankenlosen Leichtsinn zu überwinden, der ihn zu jedem ernstlich-selbsthätigen Auf- und Fortstreben unfähig macht. Ich bitte Sie, ihn in dieser Hinsicht ernstlich merken zu lassen, daß ich auch wohl, ohne gründliche Änderung von seiner Seite, mich entschließen könnte, ihn ganz von den Studien zu entfernen, und ihn einem andern Stande zu widmen. Caritionen und jede andre nach der Natur des Instituts mögliche Disciplinarstrafen für offenbar nachläßige Arbeiten, in welchem Fach es sey, müssen auf seinen Willen wirken. Der mir überschickte Aufsatz über Vaterlandsliebe hätte die strengste Strafe verdient. Ich hätte ihm die flachsten Gemeinplätze verziehen, aber da ausdrücklich die Behandlung und die Gesichtspuncte vorgeschrieben, Beyspiele aus der Geschichte insbesondere ausgeschlossen waren, so zeigt eine solche Arbeit den Mangel selbst jedes Willens, einer Aufgabe Genüge zu thun. Hoffen wir, daß unsren vereinten Bemühungen doch noch gelingen könne, eine Gemüths- und Sinnesänderung bey ihm hervorzubringen! Mit unbedingtem Vertrauen übergebe ich ihn auf’s Neue Ihrer gewissenhaften und mehr als väterlichen Fürsorge. Meinen Dank für diese, so wie ich ihn empfinde, auszudrücken, fühle ich mich außer Stande.

Noch füge ich die Bitte hinzu, mich nebst meiner Frau Ihrer theuersten Frau Gemahlin auf’s Herzlichste und Angelegentlichste zu empfehlen. Mögen Sie mit allen den lieben Ihrigen diesen glücklich und gesund zurücklegen! Mit der reinsten Verehrung und Ergebenheit
Der Ihrige

Schg.