München .
Gehäufte amtliche Arbeiten haben mich abermals verhindert, Paul sogleich mit dem Schreiben zu begleiten, in welchem ich Ihnen, tief und innig verehrter Freund, vor allem den empfindungsvollsten Dank auszusprechen hatte für die unsägliche Sorgfalt und treue Bemühung zum Besten unsres Paul. Worte sind in der That nicht im Stand, das Dankgefühl gerührter Eltern ganz auszudrücken. Pauls erste Erscheinung machte uns Freude, er betrug sich einige Tage anständig und geziemend; leider aber traten nur zu bald die alten Sitten wieder hervor, worüber er am Ende seines Aufenthalts selbst, unter lebhaften Versicherungen, daß die festesten Vorsätze nicht vermocht haben, ihn bey dem besseren Benehmen zu erhalten, reuige Thränen vergoß. Um so weniger kann ich irgend etwas von dem, was Sie in Bezug auf ihn verfügt haben, zurückgenommen wünschen; vielmehr danke ich Ihnen und dem würdigen Herrn Vorsteher des Instituts herzlich für jede gegen ihn angewendete Strenge, ja ich wünsche, daß diese, ganz im Verhältniß zu den stets wieder sich zeigenden Rückfällen oder neu hervortretenden Ungehörigkeiten und Untugenden, sich steigern. Namentlich wünsche ich, daß in Ansehung seiner Berechtigung zu Ausgaben und der Verabreichung seines Taschengeldes keine Veränderung stattfinde. Ich halte für Pflicht, Sie zu benachrichtigen, daß er die Partie, welche er in diesem nach Nürtingen zu machen Erlaubniß erhielt, nicht, wie er Sie glauben ließ, zu Fuß, sondern heimlich und ohne Ihr Wissen zu Wagen gemacht hat. Das einzige Mal, daß er hier Erlaubniß erhielt, allein, und zwar nur auf eine Stunde auszugehn, hatte er, sichern Spuren nach, benutzt, irgendwo Tabak zu rauchen, ob er es gleich hartnäckig leugnete; woraus ich fast schließen muß, daß er auch in Urach auf Spaziergängen sich dieses erlaubt. Die Revision seiner Ausarbeitungen durch den dazu gewählten Seminaristen halte ich auch ferner für durchaus nothwendig, und wünschte nicht, daß das Geringste davon nachgelassen würde; mit Freuden werde ich den damit Beauftragten besser belohnen, wenn er zugleich zur Revision der Rechnungen sich brauchen läßt und seine Censur auch auf die Deutlichkeit der Schrift erstreckt; denn hierinn habe ich noch keinen Unterschied wahrgenommen. Paul’s Griechisches, wo er z.B. statt des δ stets ein lat˖[einisches] d schreibt, ist fast unleserlich. Seine Übersetzungen aus dem Deutschen in’s Lateinische schienen nur ein Weniges sorgfältiger als das letzte Mal, aber außer den groben Versehen und Nachläßigkeiten, die noch immer vorkommen, habe ich mich von seiner fortdauernden Unfähigkeit, einen lateinischen Perioden auf deutliche Weise auseinanderzusetzen und gehörig zu gliedern, so wie von der Schwäche seiner Beurtheilungskraft überzeugt, die sich alsbald zeigt, so wie er den Buchstaben der Aufgabe verläßt, oder zu verlassen genöthigt ist. Alles Denken ist ihm, wie ich aus seinen Arbeiten abgenommen und auch außerdem mich überzeugt habe, zur Last. Ich habe, um seinen flatterhaften Sinn in etwas zu fixiren, den Versuch mit einer Stunde in der Mathematik gemacht, die ich ihm kurze Zeit hier geben ließ. Der Lehrer, ein ausgezeichneter junger Mann, versicherte mich, daß er in der Stunde stets aufmerksam gewesen, und auch recht wohl gefaßt habe, wovon ich mich auch selbst überzeugte. Wäre vielleicht Mathematik das wahre Heilmittel für ihn? Wie glücklich, wenn ich nur einmal den Gegenstand kennte, der ihm eine wahre, aufrichtige Theilnahme abgewinnen und ihn fesseln könnte! Ein vorzüglicher Kopf, wie der hiesige Student, der ihm in der Analysis Unterricht ertheilte, die, wie er versichert öffentlich jetzt nicht mehr gelehrt wird, könnte ihm durch Privatunterricht großen Nutzen gewähren. Daß er für lateinische Verse gar kein Talent zeigt, betrübt mich eben nicht sonderlich; aber seine habituelle Gedankenlosigkeit erschreckt mich ebensosehr, als eine gewisse desponsio animi, ein Aufgeben alles besser- und geschickter-Werdens, das ich an ihm wahrgenommen habe. Ich kann und darf Ihnen, theurester Freund, meine Angst nicht verbergen. Ich zittre, wenn ich denke, daß er vielleicht selbst mit dem Laster inzwischen bekannt geworden – mit der Sünde der Jugend – ach! Wenn dieß wäre, so müßte ich ihn, bey solchem Charakter für verloren achten. Mein gänzlicher Mangel an pädagogischer Erfahrung hat mich schüchtern gemacht, in dieser Hinsicht irgend etwas zu unternehmen. Ich lege diese Besorgniß in Ihrem Herzen nieder. Ich fürchte unter andern, daß er nach der schmalern Kost in Nürtingen zu reichlich genährt wird. Häufige Leibesübungen, kalte Bäder, während des Sommers, und die äußerste Strenge, nicht bloß der Ermahnungen, sondern wirklicher Strafen, die selbst in Brod- und Wasserdiät auf Einen Tag bestehen könnten, um ihn zu anhaltender Beschäftigung und angestrengter geistiger Arbeit zu nöthigen, wären die einzigen, etwa denkbaren Rettungsmittel. Dabey muß ich jedoch bemerken, daß er unter allen Untugenden ein sehr rührbares und besonders für seine Eltern zärtliches Herz behalten, daß er mit aufrichtigen Thränen seine Unfähigkeit, besser zu werden und weiter zu kommen, beweint hat, und daß, wenn auf der einen Seite gegen seine Fehler und Versehen fortgesetzte, nie nachlassende Strenge erforderlich ist, von der andern ebenso nöthig scheint, die Kraft des Besserwerdens in ihm zu schonen, das Gefühl einer Möglichkeit desselben in ihm zu erwecken und lebendig zu erhalten, und ihm wenigstens einigen Glauben und einiges Vertrauen zu sich selbst zu retten. Ich sage dieß nicht etwa, als ob ich glaubte, es sey in dieser Beziehung etwas versehen worden, sondern im Gegentheil, um zu beurkunden, wie sehr ich, von der einen Seite zur Strenge auffordernd, von der andern Seite ebensowohl Ihre schonende und liebevolle Behandlung mit innigstem Dank zu erkennen weiß. Mögen Sie nicht müde werden, des armen – Gott gebe, daß nicht verlornen – Jünglings sich anzunehmen. Noch muß ich etwas, nicht sowohl zu seiner Ehre, als zu Ihrer Kenntniß beyfügen, daß er nämlich, obgleich er stets Ihre Güte und Sorgfalt für ihn gerühmt und dankbar erkannt hatte, doch dießmal, nach der strengeren Behandlung, mit ganz besondrer Liebe und wirklicher Empfindung von Ihrer Sorge und Theilnahme für ihn, freywillig und unveranlaßt, oft genug redete. Es hat mir dieß als Beweis gedient, daß er nicht bloß die Gerechtigkeit, sondern auch die Zweckmäßigkeit der Strenge gegen ihn gar wohl erkennt.
Unsern Dank auszusprechen versuche ich nicht; möge Ihnen in dem Wohlergehen und Gedeih’n der eignen lieben Kinder reichlich vergolten werden, was Sie an einem der meinigen so redlich und treu gethan haben und thun.
Wir bitten auch Ihrer theuersten Frau Gemahlin diese unsre Gesinnungen angelegentlich zu bezeugen.
Dem würdigen Herrn Ephorus bitte ich nicht weniger meinen innigsten Dank zugleich mit meiner hohen Verehrung auszudrücken.
Schg.