Verehrungswürdigster!
Gräfin Fritsch fordert mit so viel Güte mich auf, einen Brief an Sie mitzugeben, daß ich mich entschließe, dieß kurz und gut als den Anknüpfungspunct anzunehmen, den ich schon so lange gewünscht, und, bey so viel innern und äußern Aufforderungen, Ihnen zu schreiben, so lange vergebens gesucht habe. Daß ich an allem, was von Ihnen ausging oder Sie betraf, ununterbrochen so warmen und innigen Theil als irgend einer Ihrer zahllosen Verehrer genommen, unter denen ich selbst mich nun schon einer der älteren, wenn auch nicht der ältesten, zu seyn mich rühmen darf, brauche ich nicht zu versichern. Wenn ich Ihnen zu schreiben anstand, so war es, weil so leicht durch längeres Stillschweigen eine Ungewißheit über gegenseitige Gesinnung und Denkweise entsteht, die sich durch einen bloßen Brief nicht beseitigen läßt. Es hätte in meiner Macht stehen müssen, eine Zeitlang mit Ihnen zu leben; denn Erfahrnes und Erlebtes insbesondre läßt sich doch nicht ex abrupto, sondern nur im lebendigen Zusammenhang und in sofern gelegenheitlich mittheilen. Ich weiß also auch nicht, was Sie etwa aus Folgendem möchten abnehmen können. Eine Muße, wie sie nicht leicht einem andern meiner Art zu theil wird, glaubte ich benutzen zu müssen, um über die Surrogate eigentlicher Wissenschaft, für die ich so ziemlich alles, was wir bis jetzt insbesondre Philosophie genannt haben, zu halten veranlaßt war – gültig nur so lange, als man voraussetzt, daß etwas anderes, das man eigentlich wollen müßte, nicht möglich sey – um über diese und die Methoden, die in verschiednen Wendungen doch eigentlich nur den Zweck haben, den Menschen zu bereden, statt des Fisches den Skorpion, statt des Brodes den Stein
sich gefallen zu lassen – über diese also hinaus zur Sache, zu dem, was man eigentlich zu wollen, sagen würde, wenn man es sich auszusprechen getraute, zu gelangen. Daß man bey einem Vorsatz dieser Art, an den man eine Lebenszeit gewagt, weder überhaupt schnell vorwärts kommt, noch insbesondre, trotz aller Verständlichkeit des Zwecks und selbst der Mittel, so leicht die Mittel findet, sich seiner Zeit verständlich zu machen, ist begreiflich. Unser entschloßner König (Sie kennen Ihn aus seiner Empfindung für Sie und es bedarf keines tiefer bezeichnenden Epithetums) hat allem Bedenken in sofern ein Ende gemacht, als er mich auf eine Weise, der ich widerstehen nicht konnte, nicht durfte, in die Nothwendigkeit gesetzt hat, wenn nicht von den Dächern, doch, an einem Orte, wo es der Mühe lohnt, vom Katheder zu predigen, wofür ich in der weitern Welt das Bedürfniß zwar immerfort wachsen, aber noch immer für mich nicht völlig gereift seh. Was nun davon etwa, unstreitig höchst verworren, auch zu Ihnen dringen möge bitte ich Sie, einstweilen und bis zu möglicher Verständigung, wie es Ihre Gewohnheit ist, im besten und verständigsten Sinne zurechtzulegen, und die Stelle in Ihrem Geist und Herzen mir so lange zu lassen, die Sie früher, mit so unverdienter, ich darf sagen väterlicher Güte, mir gegönnt haben. Denn gewiß, kann ich je mit dem Ganzen zu Ihnen und an Sie kommen, Sie werden mich nicht hinausstoßen.
Nun habe ich den ganzen Brief bloß von mir gesprochen. Aber auch, wenn ich nach so langer Zeit zu Ihnen in Ihr liebes Zimmer träte, müßte ich doch zuerst mich darstellen und erwarten, was Sie weiter mit mir reden wollten. Für ein solches bloßes mich Dar- oder Hinstellen nehmen Sie also auch diese flüchtigen, unter den Dämpfen Carlsbads und, was noch schlimmer, mit Carlsbader Dinte geschriebnen Zeilen.
Alles Heil und Wohlergehen auf Ihr theures, ewig verehrtes Haupt! Beschließen Sie, wie alles hoffen läßt, die lange Reihe der Wunder Ihres Lebens, die endlich, wie billig, die Augen einer ganzen, bewundernden Welt auf Sie gerichtet, mit dem Wunder eines bis zum ungewöhnlichsten Ziel erstreckten, jugendlichkräftigen und geistesfrischen Alters!
Mit treuester Ergebenheit und liebevoller Ehrfurcht
Der Ihrige
Schelling.
Carlsbad .