Schelling

Schelling Nachlass-Edition


Euer HochwohlgeborenNo 1)

gütiges, mir durch Ihre Söhne nach den Herbstferien überbrachtes Schreiben bälder zu beantworten, ist zwar mein guter Vorsaz gewesen; aber ich konnte in der verflossenen Zeit, da ich die Wochentage fast ganz in der Schule zubringen mußte, und die Sonntage mit Correcturen und andern Besorgungen hingingen keine freie Zeit dazu finden. Sie werden mir also diese Verspätung gütigst verzeihen.

Mit dem Inhalte Ihres Schreibens bin ich vollkommen einverstanden; ich fand darin eine Bestätigung meines eigenen Urtheils über Ihre Söhne. Pauls Flüchtigkeit und Unbeständigkeit hat mich vom Anfange seines Hierseyns an manchen Kampf gekostet, und macht mir immer noch manches zu schaffen. Doch finde ich merkliche Besserung in dieser Hinsicht bey ihm, wenn ich sein jetziges Betragen mit seinem frühern vergleiche, wo seine Stimmungen, Neigungen und Wünsche so veränderlich waren, als ich es in diesem Grade niemals bey einem Knaben seines Alters wahrgenommen habe. Die oft in Ringelhaftigkeit übergehende Derbheit seines jüngern Bruders macht mir weniger Sorge, da eine natürliche Gutmüthigkeit sich nicht bey ihm verkennen läßt. Daß jene während seines Aufenthalts im elterlichen Hause mehrmals zum Ausbruche gekommen ist, thut mir um so mehr leid, als ich ihm gerade auch in dieser Hinsicht vor seiner Abreise so ernstlich ermahnt habe. Dieser Fehler wird sich aber gewiß bey ihm mehr und mehr verlieren, so wie er aus den Tölpeljahren tritt. Eine gute Seite an ihm ist dieses, daß er sich immer so gibt, wie er ist, was bey seinem ältern Bruder nicht immer der Fall ist.

Dieser hat mir nach seiner Rückkehr aus den Herbstferien vielen Ärger und Verdruß gemacht, nicht durch Mangel an Fleiß oder eigentliche Excesse, sondern dadurch, daß er, ohne Zweifel im übertriebenen Gefühle seiner Ueberlegenheit über die meisten seiner Mitschüler (mehrere ihm gleiche oder überlegene sind im ausgetreten) den unbescheidenen, übermüthigen und meisterlosen zu spielen anfing, und durch sein Beyspiel auch einige seiner Mitkostgänger fortriß. Viele ernstliche Vorstellungen brachten schlechterdings keine Besserung bey ihm hervor, bis ich ihm endlich drohte, daß, wenn er sein Betragen nicht änderte, ich ihn nicht länger in meinem Hause behalten könnte, und ihm gerade zu erklärte, daß ich es für Heuchelei halten müsse, wenn er, z.B. in seinen Briefen, von guten Vorsäzen spreche, und gleichwohl in seinem mir so misfälligen Betragen beharre.

Vielleicht werden E˖[uer] Hochwohlgeboren diese Behandlung für zu strenge halten. Ich muß Ihnen aber aufrichtig gestehen, daß mir an meinen Schülern nichts mehr zuwider ist, als Unbescheidenheit und Unehrerbietigkeit; zugleich darf ich Ihnen versichern, daß ich bey Paul, um ihn von diesen Fehlern abzubringen, vorher alles versucht habe, ehe ich bis zu jener Drohung stieg, die auf Paul einen sehr tiefen Eindruk machte. Von diesem Augenblike an war er sehr niedergeschlagen, aß und trank in den ersten Tagen fast nichts, und schien durch sein ganzes Benehmen zeigen zu wollen, daß er glaube, ihm sey großes Unrecht geschehen. Da ich mich aber nichts darum bekümmerte, so verlor sich nicht nur jene Niedergeschlagenheit bald, was ich mir vorausdachte, sondern er kam auch allmählig in das Betragen hinein, das ich mir wünschte, und nun habe ich alle Ursache, mit ihm mehr zufrieden zu seyn, so wie ich auch glauben darf, daß er sich im Herzen wieder mit mir ausgesöhnt habe.

Seine Studien betreibt Paul mit lobenswerthem Fleiße, auch Friz, der sich schon als Landexaminanden betrachtet, gibt sich Mühe, weiter zu kommen. In diesem Jahre wird Paul, besonders wenn sein Fleiß nicht nachläßt, was ich bey seinem lebhaften Ehrtriebe nicht befürchte, in seinen Kenntnissen so weit fortschreiten, daß er vom an meine Schule nicht mehr mit Nutzen besuchen kann. Mehrere von denen, die jezt mit ihm rivalisiren, treten dann auch aus, und so würde es ihm einerseits an Anspornung fehlen, andrerseits habe ich zu wenig freie Zeit, um ihm privatim weiter forthelfen zu können. Unter diesen Umständen glaube ich auf Ihre Zustimmung rechnen zu dürfen, wenn ich ihn einstweilen dem bald beginnenden Confirmations-Unterricht anwohnen lasse, in der guten Hoffnung, daß dieser Unterricht sowohl als die heilige Handlung, welche durch ihn vorbereitet wird, einen heilsamen Eindruk auf ihn machen werde.

Während der gegenwärtigen sind Ihre Söhne dem elterlichen Wunsche gemäß hier geblieben. Die reiche Bescherung, die ihnen übergeben wurde, hat ihnen große Freude gemacht. Die Schule kann wegen eines nöthigen Bauwesens in den Lehrzimmern erst am wieder anfangen. In dieser Zeit lernt Friz die Elemente der Verskunst; das Hebräische hat er gleich nach den Herbstferien angefangen; Paul studirt Gesenius hebr˖[äische] Grammatik, die ich ihm seinem Wunsche gemäß zum Christgeschenk bestimmt habe.

Unter unserer hochachtungsvollen Empfehlung an Sie und Ihre verehrteste Frau Gemahlin beharre ich mit der ausgezeichnetsten Hochachtung
Euer Hochwohlgeboren
gehorsamster Diener

R˖[ector] Planck