No. 11.
Mittag 12 Uhr
So eben läßt mir Herr Domprobst von Stengel sagen, daß nach Tisch jemand nach Murnau geht und auch einen Brief an Dich fortbringen kann, da es aber schon Essenszeit ist, so wirst Du mit wenigem vorlieb nehmen müssen. erhielt ich zu meiner großen Freude einen Brief von Dir, er war aber schon vom , so daß ich heute 8 Tage ohne eigentliche Nachricht von Hause bin. Ich weiß wohl, liebstes Kind, daß das nicht Deine Schuld ist; hoffentlich hast Du meinen ersten Brief von hier aus erhalten und unsre Correspondenz wird nun soviel möglich in Gang kommen. Du sagst mir freylich, ich solle nicht um Dich sorgen, aber Du sagst mir auch nicht, daß Du Dich wohl befindest und so muß ich doch glauben, daß es Dir nicht zum Besten geht und daß Du die Katharine recht wohl brauchen könntest, besonders da Du auch ein krankes Kind – hoffentlich doch nur hattest. Ich kann mir Deine Sorge wegen Paul’s Wohl vorstellen, die Du mir zu verbergen suchst; so unbedeutend kann es doch nicht gewesen seyn, da es so lang gedauert, und gewiß hast Du Dich doppelt geängstet, weil es wahrscheinlich eine Wasser- oder Seekrankheit war. Wahre Dich aber, Du gutes Kind, so gut Du kannst, es gilt jetzt – Jetzt oder nie! pflege Deine kleine Schäfchen und bringe Dich mit Ihnen durch, so gut Du kannst, besonders aber erhalte Dich, an der mir alles liegt, bis ich wieder zu Euch kommen kann, wovon natürlich vor jetzt nicht zu denken ist. Gott sey dank, mir geht es leiblich und geistig wohl. Seit einigen Tagen war es schlimme Witterung, doch nie so kalt wie oft in Andex, auch habe noch nie eingeheizt und doch gearbeitet. Der Heimgarten, der Herzogstand, die Benedicten Wand sind tief herunter beschneyt, auch die geringeren Berge, Kochel zu, wenigstens von oben, aber die Luft im Thal ist lau und dieser Schnee verspricht besseres Wetter. Das Schlimmste bey der Sache ist, daß ich nun wenig Bewegung machen kann, doch ging ich gestern bis Au. Jetzt ist auch Baron Moll angekommen, der ungemein freundschaftlich gegen mich ist und mich gleich den 1sten Tag zu Tische lud. Doch halte ich mich so viel möglich zurück, um meine über alles kostbare Zeit zu schonen. Ich hätte nicht geglaubt, daß Du mich für ein solches Leckermaul hieltest, daß Du mir zuredest nur lauter gute Bißchen kochen zu lassen, im Gegentheil ich gewöhne mich wieder an derbere Kost und meine Natur befindet sich weit besser dabey. Auch gibt es hier jetzt wenige Leckerbißchen, nicht einmal Fische, kaum Eyer und selbst das Wenige theurer wie in München. Mein tägliches Essen ist Suppe,
Grüße alle Freunde, herze und küsse unsre liebe Engelchen und laß’ mich bald völlig beruhigende Nachrichten von Allen hören, besonders aber von Dir, Du Liebstes. Gott erhalte und segne Euch.
Dein
tr˖[euer] Fr˖[eund]
S.
Lege doch dem nächsten Brief etwas Maculatur bey – etwa 1–2 Catalogen (im Schrank an der Thüre des Schlafzimmers) Stengels werden mit Waizinger fahren. Ich will alles anwenden, daß der Knecht zu Dir kommt. Dann bitt ich noch um 6–12 (versigelte) Bouteil[les] Wein, Caffe, Zucker; etwas grünen Thee, den Du auch in einen Brief legen könntest.