Schelling

Schelling Nachlass-Edition


Ich zweifle nicht, beste Pauline, daß Sie inzwischen einen kleinen nichtsbedeutenden Brief von mir erhalten haben, wenigstens ein Zeichen meines Willens, Ihnen recht ausführlich und oft zu schreiben, wenn ich nur könnte. So habe ich auch zu meiner großen Freude Ihren Brief durch Frau von Martini erhalten; zu noch weit größerer Freude hat sie mir viel von Ihnen erzählt, viel von der lieben herrlichen Mutter und den Schwestern. Auf’s Neue habe ich mein Geschick beklagt, das auch diesen meinen Ausflug hemmte. So viele Menschen, darunter ganz fremde, haben Sie gesehen und erzählen von Ihnen und Ihrer Familie, und ich, der sich schmeicheln darf nicht unter die Fremden zu gehören, habe Sie nun – vielleicht seit nicht gesehen. Sie, liebe Pauline, gewinnen aller Menschen Herzen; wen ich noch von Ihnen reden gehört, spricht von Ihnen mit Liebe und Freude, auch die sonst eben nicht leicht in Begeisterung zu setzende Frau , die mir ausdrücklich aufgetragen, Ihnen allen die besten Empfelungen zu machen und zu sagen, wie sehr sie bedaure nur gleichsam im Sturm bey Ihnen gewesen zu seyn. Eines allein hat mich in etwas betrübt, daß die Frau bemerkt haben wollte, daß Sie nicht ganz wohl gewesen. Hoffentlich war es unbedeutend, oder ein Irrthum der oft zerstreuten Frau. – Wohl haben die schönen Herbsttage mich gelockt aufzubrechen und auch davon zu ziehen; aber grade diese Monate sind für mich vermöge meiner Stelle die bindendsten, und da ich auch alle mir in’s Herz gewachsnen Lieblingsarbeiten wenigstens stark vernachläßigen mußte, so habe ich was rechtes ausgestanden; es ist Eins der aller unerträglichsten Dinge, das Feuer der Begeisterung fühlen und ihm nicht folgen zu können, es ist wie ein innrer Brand, wobey man sich wie verkohlen fühlt. Gott erhalte mir immer freye Muße, und meynt er’s am gütigsten mit mir, so schenke er mir Einsamkeit oder doch freye Wahl der Gesellschaft.

Die Scene, welche Sie mir von W˖[eimar] melden wäre in der That unbezahlbar, wenn sie nicht dem alten Herrn Verdruß gemacht hätte, der indeß für seine Vertraulichkeiten mit jungen Frauenzimmern, die ihm doch eigentlich nicht zustehen, schon eine kleine Strafe, gerade an dieser Bettine, verdient hätte. Ich weiß nicht, ob Sie diese kennen, aber mir scheint, man könnte nichts angemeßners erfinden, als daß diese und die V˖[ulpius] sich – –

Werners jetziges Leben und Treiben ist mir nicht unbekannt; aber ich gestehe Ihnen, an dem V[e]rf˖[asser] des Luthers konnte es mich nicht befremden. Wahrscheinlich haben Sie diesen nie gelesen. Wissen Sie etwas von L. Tieck? Vor einigen Monaten war bey einer neuen, in unser sumpfartig stehendes Theater gekommnen Bewegung davon die Rede gewesen, ihn hieher, um Schauspieler und Schauspielerinnen zu dressiren; jetzt ist es wieder still davon, vielleicht weil man oder er gefunden, daß die ihm zugedachte Besoldung kaum auf einen, höchstens 2 Monate hingereicht hätte. Mad. Bernh˖[ardi] oder vielmehr Frau Baronesse von Knorring wie sie sich jetzt nennt, ist noch immer hier, aber von jedermann verlassen und in gänzlicher Einsamkeit. Wilh˖[elm] Schlegel war diesen auf kurze Zeit in Wien; er soll im Sinne haben, sich von Frau von St˖[ael] loszumachen und sich dort niederzulassen. Das gebe Gott! – Goethe’s Lebensbruchstücke haben wir hier immer noch nicht.

Ja wohl hat der Tod des guten Schwagers in Haarburg sehr schmerzhaft auf mich gewirkt; ich erfuhr ihn durch einen Brief von Louisen zuerst. Dieser Tod war mir in vielem Betracht wunderbar. In Carolinen wohnte eine prophetische Seele, ihr selbst unbewußt. Wie mir hundert kleine Worte und Handlungen durch ihren Tod erst klar wurden oder vielmehr in einem neuen Lichte erschienen, so auch manches, was sie in Bezug auf den Bruder geredet und gethan; ihr Herz hat gewußt, wenn auch sie nicht, daß er zuerst von allen ihr folgen würde. O wie habe ich in diesen Herbsttagen, da uns alles an die Vergänglichkeit erinnert und die Zeit des ersten Schmerzens durch tausend Bilder erneuert wurde, ihren Verlust gefühlt; wollte ich sagen, was sie gewesen und was ich an ihr verloren, ich könnte nicht ausreden. Und doch, so verklärend wirkt der Tod, daß ich sagen möchte, sie ist erst jetzt ganz mein. Noch diese Tage wurde ich tief gerührt, als ich in Joh˖[annes] Müllers, auch eines Verstorbenen, Werken jenen Brief an seinen Bruder las, darinn er ihm von einer Notiz des Athenäums über seine Jugendbriefe aus der Schweiz schreibt; »Ich kenne den V[e]rf˖[asser] nicht, sagt er, aber er ist mein vertrautester Freund. So hat mich im Leben noch niemand aus meinen Schriften heraus dechiffrirt pp.« – Der Verfasser war – sie. – Es wäre mir ein groß Glück gewesen den einen Knaben zu erhalten, den der Vater zurückließ, (der andre gieng ihm voran, ein Opfer der nämlichen Krankheit), aber Wiedemanns haben gleich nach ihm gegriffen, ob mir gleich scheint, sie könnten leichter eines der Mädchen nehmen, das ich doch nicht erziehen könnte. Vielleicht erhalte ich ihn noch. Philipp war der erste, der ihr Kund von mir brachte, wenn sie anders deren bedurfte: das ist auch ein Vorzug der Seligen, daß sie uns nicht aus dem Auge verlieren, wie wir sie. In Ihrem Brief, liebe Pauline, hat mich ein Wort ganz besonders erfreut, wie sie von dem Glück eine so gute Mutter zu haben, reden und hinzusetzen, das sind Empfindungen aus dem Himmel! Halten Sie daran fest, liebe Pauline; ja, es gibt Empfindungen aus dem Himmel bis zu unglaublicher Klarheit, die allein allen Schmerz stillen, uns wahrhaft beseligen.

Leben Sie wohl, beste Seele; die herzlichsten Grüßen an alle Ihre Lieben.

S.