Schelling

Schelling Nachlass-Edition


Liebster Bruder!

Welche Gedanken magst Du mit Deiner lieben Frau Dir von uns gemacht haben – wegen des langen Stillschweigens? Ich allein bin daran Schuld und bitte deßhalb auch um Verzeihung. Von den anliegenden Briefen war der eine schon vor Monaten geschrieben, er wurde mir zur Beförderung übergeben, bey’m Durchlesen gefiel er mir nicht, ich weiß nicht mehr warum, ich wollte Klärchen einige Bemerkungen darüber machen, so gerieth er unter meine Papiere und wurde vergessen. Der zweyte ist von jüngerem Datum, dieser ist bis jetzt zurückgeblieben, weil ich selbst etwa 14 Tage lang krank war, und nach meiner Genesung die Hände voll zu thun hatte, um mit meinen Geschäften wieder in Ordnung zu kommen. Ich glaube, die nachläßige und kalte Art, wie Clärchen in dem ersten Brief Deiner lieben Frau gedankt hatte, hatte mir mißfallen, nun habe ich aber Übel nur ärger gemacht und das gute Kind gar in den Verdacht einer völligen Undankbarkeit gebracht. Es ist zuviel Güte, die Deine liebe Frau für das Mädchen hat – ihr auch alle die 1000 Sachen von Stuttgardt noch nachzuschicken! Wie wir der lieben Tante alles verdanken sollen, wissen wir nicht, und darum ist es das Beste, zu verstummen und mit Schweigen zu danken. Am angenehmsten wird es wohl der lieben Tante seyn zu hören, daß Clärchen sich wohl befindet, daß sie in ihr hiesiges Verhältniß sich von Anfang an wohl gefunden hat und allmälig auch was in ihrem Benehmen zu ihren Geschwistern nicht recht passen wollte, sich abgestoßen hat. Sie hat einen eigenthümlichen, von dem ihrer Schwestern ziemlich verschiednen Charakter, sie ist einerseits feiner, andrerseits aber auch verstockter und besonders zum Aufreizen und Necken geneigter als diese – dieß hat denn mitunter zu kleinen Scenen Veranlassung gegeben, aus denen sie sich jedoch immer mit vieler Gewandtheit zu ziehen wußte, allmälig wird sie, die so lange Zeit wie ein einziges Kind war, lernen, auch mit Geschwistern sich zu vertragen. – Wir stehen im Begriff, sammt und sonders, d.h. mit allen Kindern und 2 Domestiken nach Carlsbad abzureisen. Es ließ sich dießmal nicht gut anders einrichten. Es wird mir wohl thun, nach der ziemlichen Anstrengung der auch einmal wieder auszuruhen. Übrigens habe ich mich, bis auf den letzten Zufall, der als ein Art epidemisches Übel eine Menge Menschen, fast alle meine Kinder und zuletzt auch mich ergriffen hatte, immer ausnehmend wohl befunden, was ich vorzüglich der Wirkung von Carlsbad zuschreibe. Meine Frau dagegen leidet noch immer sehr an Schwäche. Ich hoffe, Sie wird in Carlsbad wenigstens durch die größere Ruhe gewinnen, die sie dort genießt, denn es ist natürlich, daß nach der Erlanger Stille und Eingeschränktheit das weite und zerstreute Leben in München sie angreift.

Ich bin so frey, Dich um die Beförderung der 2 Briefe an Friz und Paul zu bitten.

Gott erhalte Dich und Deine liebe Frau sammt den theuren Kinderchen im bestem Wohlseyn, und lasse uns bey der Rückkehr die erfreulichsten Nachrichten von Dir finden.
Entschuldige brüderlich alle meine große Versäumniß, auch die außerordentliche Eile dieses Briefs.
Der lieben Schwägerin die zärtlichsten Grüße von mir und meiner lieben Frau, so wie von allen Kindern!
Dein
tr˖[euer] Br˖[uder]

Fr