Schelling

Schelling Nachlass-Edition


Herrn

MedicinalRath Dr. Schelling

in

Stuttgardt.

g[an]z˖ frey

Wie soll ich mich nun dießmal bey Dir entschuldigen, liebster Bruder! Es ist wahrlich nicht erlaubt – ich fühle es wohl – dem lieben Bruder, der mir zu lieb kürzlich gereist und wenn auch kurze Zeit doch zu meiner größten Freude einige Tage bey mir geblieben war – nicht gleich nach seiner Rückkehr dafür nochmals zu danken und ihm wenigstens ein Zeichen der frohen Erinnerung an seine Gegenwart zu geben. Ich will – ich kann meine Saumseligkeit nicht entschuldigen. Also nur dieß Eine, daß ich bey Gelegenheit der letzten Ausarbeitung des noch übrigen Theils meiner mythol˖[ogischen] Vorles˖[ungen] noch in sehr weitläufige Untersuchungen verflochten wurde, für die ich jeden Augenblick zu Rath halten mußte, da einestheils der Druck fortschreiten mußte, andrerseits das Ende der Ferien und der Wiederanfang der Vorlesungen vor der Thür war. Nimm nun darum nicht weniger gütig und nicht weniger überzeugt von der Aufrichtigkeit desselben den verspäteten Dank von mir und meiner Frau noch an, liebster Bruder, für das Opfer das Du uns durch die Hieherreise gebracht hast und für alles Liebe und Gute was uns durch Dich und Deine liebe Frau auch dießmal wieder zu theil geworden. Grüße diese auf’s herzlichste und danke ihr noch ganz besonders in meinem und meiner Frau Namen.

Ich will Dir nun nur in Kürze Nachricht geben von dem Befinden meiner Frau. Die Anschwellung hatte bis zur Periode eher zu- als abgenommen. Diese trat mit Schmerzen eigenthümlicher Art ein; nach derselben hat sich die Anschwellung eine Zeitlang wieder vermindert, aber auch jetzt wieder angefangen zuzunehmen. Sie versichert, daß der Gebrauch der Pillen daran nichts mindre, im Gegentheil eher zu vermehren scheine, den besten Erfolg spürt sie von der China. Es wird mir und auch Fleischmann immer wahrscheinlicher, daß das Übel in einem Eingeweide und zwar in der Leber seinen Sitz hat. Fleischmann meynt, es wäre eine von den Leberkrankheiten, die sich nicht durch Wirkung auf die Galle äußern und daher öfters verkannt werden und beruft sich deßhalb auf ähnliche noch nicht lang’ ihm vorgekommne Beyspiele. Zugenommen hat die Anschwellung seitdem im Ganzen nicht und vielleicht wäre auch dieß ein Zeichen, daß keine Wassersucht im Spiel ist. Seit dem Gebrauch der China fühlt sie sich im Ganzen gestärkter und also besser – sie sieht nicht blaß noch besonders krank aus, nur die eher zunehmende als sich vermindernde Abmagerung ist das Bedenkliche. Was meynst Du, bey den wirklich auffallenden Kräften des sogen˖[annten] (Marienbader) Creuzbrunnens, der warm getrunken werden kann bin ich auf die Idee gekommen, daß dieser eine wohlthätige Revolution wenigstens vorbereiten könnte. Dank Dir, herzlichen Dank, für Deine Theilnahme, könntest Du das Übel nur einige Zeit anhaltend beobachten, ich bin überzeugt, daß Du es unterscheiden würdest.

Besser als mit meiner Frau steht es mit den Kindern, besondern das Kleinste gedeiht zusehends, und fängt nun schon auch an, gescheidter zu werden. Die beyden Knaben besuchen jeder seine Schule, Paul blüht dabey und ist jetzt sehr vergnügt, da er der 6te in seiner Abtheilung geworden ist und spürt, daß er vorwärts kommt.

Unser allerliebstes Clärchen grüße und herze von uns allen auf’s Innigste. Noch immer steht das Bild des lieben Kindes vor uns, mögen wir sie recht bald, froh und alle gesund, wiedersehn! Meine Frau meynt, das Capucinerliedchen habe ihr wohl der Onkel beygebracht, und dieses werde künftig das nächste in seiner Neigung nach dem Zimmermändle seyn.

Lebe recht wohl, liebster Karl, der Himmel schenke Dir und Deiner lieben Frau einen gesunden und heitern . Nächstens mehr, denn für heute muß ich schließen um die Post nicht zu versäumen.
D˖[ein] tr˖[euer] Br˖[uder]

Fr.