Hochzuverehrender Herr Präsident!
Verehrtester Freund!
Die namenlose Nachlässigkeit und Schurkerei der Mailänder ist Schuld, daß ich einen Brief meiner Mutter, der im und gerade an meinem Geburtstage in Mailand angekommen, erst heute hier in Siena erhielt, und ohne die dringenden Nachfragen einiger Freunde in Bergamo gar nicht würde erhalten haben, da man ihn, nebenbei gesagt, auch geöffnet hatte. Er enthält die offizielle Nachricht meiner Anstellung und die freundschaftlichen Warnungen, welche Sie hinzufügen. Ich werde an den König und den Minister schreiben, um ihnen zu danken; doch konnte ich mich nicht enthalten, an Allem Ihnen sogleich meinen innigsten Dank darzubringen für eine neue Wohlthat, deren ich vielleicht in Bezug auf meinen eigenen Werth nicht würdig bin, wohl aber in Bezug auf die Gesinnung, welche ich immer für Sie, für die Ihrigen, für meine Freunde überhaupt gehegt habe, eine Gesinnung, an der Sie zu zweifeln scheinen. Wenn es der höchste und einzige Beweis von Freundschaft wäre, in der Nähe seiner Freunde zu leben, so müßte ich mich allerdings für schuldig halten; mein ganzes Bestreben ging aber immer dahin, mich zu dem auszubilden, wozu mich die Natur bestimmt zu haben scheint, und wodurch ich meinen Freunden am Besten genügen kann. Italien zu verlassen, kann ich mich in der That schwer oder nicht entschließen; meine Gesundheit, nachdem ein gefährlicher Wendepunkt vorübergegangen, hat sich an ein milderes Klima gewöhnt, und würde ein rauheres, nicht ohne harte Stöße, vertragen. Was Sie von den geistigen Gefahren Italiens sagen, gebe ich gerne zu; nur fürchte ich, daß die Gefahren Deutschlands noch größer sind, und daß das dortige gelehrte Bücherleben einem Dichter noch weniger anschlägt. Wenn mir bisher vielleicht die Einsamkeit schädlich war, so habe ich gegenwärtig so viele Verbindungen in den meisten Hauptstädten Italiens, daß ich sie nicht mehr zu fürchten habe. Kaum kann ich denken, daß Sie in meinen Gedichten aus Italien einen Rückschritt gegen meine früheren sollten bemerkt haben, und ich wünschte wohl, Ihre Meinung hierüber zu hören, wenn Sie mir eine Viertelstunde widmen wollen. Denn eigentlich nur meine poetische Existenz interessirt mich, Leben und Tod sind mir vollkommen gleichgültig. Gewiß befindet sich Italien in einem Zustand von Decadenz, gewiß hat es auf keine Weise eine solche Reihe ausgezeichneter Geister aufzuweisen, als unser Vaterland noch gegenwärtig besitzt; aber die Nation im Allgemeinen ist von einer edlen Abstammung, sie steht den Göttern näher, die sich einst zu den Griechen herabließen, um den Menschen der Thierheit zu entkleiden. Verzeihen Sie, wenn ich von meinem Standpunkt ausgehe. Die Italiäner bewahren noch eine heilige Ehrfurcht vor allem geistigen Verdienst, und nie hat in Italien ein mittelmäßiger, geschweige ein schlechter, Dichter das geringste Aufsehen erregt. Wie steht es aber, was diesen Punkt betrifft, in Deutschland? Noch kürzlich besuchte der schamlose Jude Heine (ein armseliger Schmierer und Sanskulott, von dem mir neulich ein Durchreisender ein Werkchen mittheilte) einen meiner Bekannten in Florenz, und äußerte, indem er behauptete, daß ich in Deutschland gar nicht bekannt sey, daß Cotta von seinem letzten Werkchen in drei Monaten sechstausend Exemplare abgesetzt habe. Zugleich gab er drohend zu verstehn, daß es ihm ein leichtes sey, mich bei dem deutschen Publikum als Aristokraten verdächtig zu machen, und daß meine Vergötterung des eigenen Geschlechts den Damen an’s Herz gelegt werden müsse. Erlauben Sie mir, eine Nation, deren beliebteste Schriftsteller (wie doch die 6000 Exemplare beweisen) wahre Satanasse sind, zu verabscheuen. Ob es dieser Mensch durch seine Intriguen bei Cotta nicht dahinbringt, daß dieser meinen Oedipus, worin ich dem ganzen Lumpengesindel die Zentnerlast meiner Ueberlegenheit fühlen lasse (eine Satisfaktion, die mir wohl zu gönnen ist) nicht abdrucken läßt? Wie groß auch der Ersatz ist, den mir meine Freunde bieten würden, die ich aber auch in der Entfernung genießen kann, so kann ich mich doch nicht entschließen, unter jenem Pöbel zu leben; abgesehen davon, daß mir Italien so unbeschreiblich wohl gefällt. Rom, Neapel, Florenz und so vieles Andre, ist ein Theil meiner Seele geworden. Vielleicht denke ich anders in andern Jahren; aber so lang ich nicht anders denke, will ich auch nicht anders handeln. Im Sommer ist mir der Gebrauch der Seebäder nöthig, ein Paar deutsche Winter würden hinreichen, mich zu Grund zu richten, wenn auch wirklich das Münchner Klima gut auf die Nerven wirkt. Meine Brust ist nicht eigentlich schwach; aber ich habe sie von jeher übermäßig angestrengt. Meine Nervenübel in Rom waren die Folge von unentwickelten Hämorrhoiden, und gegenwärtig kann ich sagen, daß ich jeden Tag gesünder werde. Um auf kurze Zeit eine so weite Reise zu machen, ist die Pension des Königs nicht hinreichend. So dankbar ich für diese Unterstützung bin, so ist das eigentlich Unschätzbare dabei doch die Ehre, die öffentliche Anerkennung, die mir auf eine seltene Art dadurch zu Theil wird. Glauben Sie mir, verehrter Mann, daß ich sie in ihrer ganzen Ausdehnung zu schätzen weiß, daß ich Sie in allen Dingen als meinen Meister, als meinen Wohlthäter erkenne, und daß es zu meinen besten Hoffnungen gehört, Sie und Ihre liebe, von mir so hochverehrte Frau wieder zu sehn, wiewohl ich für diesen Augenblick wenig Rath weiß. Ich würde mich sehr freuen, einige nähere Nachrichten über die Ihrigen zu erhalten, und hoffe, daß Puchta diese mir so theure Vermittlung für die Zukunft übernehmen, und mir Ihre Wünsche mittheilen wird. Herr von Rumohr, der Ihnen sehr zugethan ist, empfiehlt sich Ihnen auf’s Herzlichste. Er hat mir hier, wo ich dießmal den zubringe, eine sehr hübsche Wohnung gemiethet, ich nehme an seiner vortrefflichen und höchst diätätischen Tafel theil, und es wäre unmöglich, daß ein leiblicher Vater mehr für mich sorgte.
Leben Sie wohl, und verzeihen Sie diesen weitschweifigen und verwirrten Brief, den ich, fast unmittelbar aus dem Wagen steigend, geschrieben habe.
In dankbarster Verehrung
Ihr
Gr. Platen
Siena den .