Schelling

Schelling Nachlass-Edition


Verehrtester Freund!

Ob ich gleich nicht vermuthen kann, daß mein Schreiben Sie in München gegenwärtig antreffen werde, indem die Frau von Köhler mir vor einiger Zeit geschrieben, Sie würden mit Ihrer Gemahlin gegen die eine Badereise nach Böhmen machen, so kann ich doch nicht umhin, am Schluße des Semesters und vor meiner Ferienreise Ihnen, mein verehrtester Freund, einen schriftlichen Grus zuzusenden, und mich Ihrer fernen Freundschaft und Wohlgewogenheit zu emphelen.

Das verfloßene Semester ist für Sie so erfreulich als fatal geweßen; ich wünsche Ihnen vom ganzen herzen Glück zu der erfreulichen ihre lieben Gemahlin von einer gesunden Tochter, und zu der nun mehr und mehr sich befestigenden Gesundheit der Mutter. Gott möge Ihnen beiden ein langes Leben vergönnen, damit Sie Ihre gesunden, kräftigen und hoffnungsvollen Kinder erziehen, und die Früchte Ihrer mühevollen Sorgfalt für dieselben genießen können. Der Paul muß schon sehr herangewachsen seyn, und Ihnen viele Freuden gewähren.

Die Nachricht von dem Ihrer verehrungswürdigen und allgemein verehrten Frau Mutter hat mich auf eine sehr unangenehme Weise überrascht, auch noch deswegen, weil ich weiß, mit welcher innigen Liebe Sie an ihr, und die Selige an Ihnen gehangen hat. So trennt sich ein geliebter Mensch um den andern von uns, bis wir fast allein stehen, und endlich auch dem allgemeinen Rufe des Schicksals folgen müßen; doch Sie haben Weib und Kinder und können daher nie ganz entwurzelt werden. – Auch der unvorhergesehende frühe Ihres Ihres Freundes und Anverwandten Herrn Brayers wird Sie schmerzlich ergriffen haben; er ging mir auch sehr nahe, ob ich ihn gleich persönlich wenig kannte; aber ich halte seinen Tod für einen großen jetzt in Bayern unersetzbaren Verlust. Er hat als Schriftsteller, und wie ich allgemein höre, auch als Lehrer trefflich gewirkt, und seine ehemaligen Schüler auf dem Lyceum zu München, welche hier studiren, verdanckten ihm sehr vieles.

Daß Sie noch immer nicht ganz gesund sind, schmerzt mich am meisten; Keinem unter den jetzt Lebenden wünschte ich mehr eine dauerhafte Gesundheit als Ihnen, m˖[ein] F[reund]. Sie stehen nun nicht bloß in den besten Lebensjahren, sondern auch in dem Blüthestand Ihrer Bildung; ich kann nicht denken, daß es von der Vorsehung bestimmt sey, daß mehrere von Ihnen erzeugten Blüthen nicht zu reifen Früchten gedeihen sollen. Aber in einem kränkelnden Körper kann freilich die Lust und Energie zum Arbeiten nicht recht aufkommen. Ich wünschte und hoffte aber, daß alles sich bald zum beßern wenden werde; die 40ger Jahren nennt man die kritischen, in welchen die meisten Männer einen ähnlichen Kampf bestehen müßen; eine angemeßene Diät, Bewegung und ein soviel möglich furchtloses und heiteres Gemüth verhelfen am sichersten und schnellsten zu einem glüklichen Ausgange, den ich Ihnen recht bald herzlich wünsche. –––

Mit meiner Gesundheit bin ich sehr zufrieden; ich habe in diesem Jahre nicht ein einziges Mal Ursache gehabt, eine Stunde über Uebelbefinden zu klagen; von Frühe bis Abend in Geschäften und Arbeiten herumgetrieben geht mir die Zeit im Fluge vorüber, und jeden Abend lege ich mich ermüdet zu Bette, und genieße einen gesunden Schlaf. Mit Rektoratsgeschäften bin ich aber sosehr geplagt, daß ich es doch nicht lange mehr aushalten kann; seit 6 Wochen muß ich wie ein Sklave im Dienste eines barbarischen Herrn arbeiten, und vor einer Stunde bin ich erst mit den Arbeiten für dieses Jahr fertig geworden. – Mit meinem Wirkungskreise an der Universität bin ich aber um so zufriedener, und die Ueberzeugung, daß ich auf den Geist und besonders auf das Herz unsrer jungen Leute wirkte entschädigt mich für die Qual am Gymnasium, obgleich auch hier mein Wirken nicht ohne Frucht ist. Dr. Schoenlein wird Ihnen ein Exemplar meiner philos˖[ophischen] Sitten- und Religionslehre überbracht haben; ich wünschte schon daß diese Schrift Ihnen nicht ganz misfallen möge; ich habe mit besonderer Liebe sie bearbeitet, und glaube, daß ich die Hauptsachen nicht schief gegriffen und dargestellt habe. Die Darstellung sollte freilich gedrängter seyn, aber es fehlte mir zur Umarbeitung die Zeit und die Nothwendigkeit, sie als Vorlesebuch zu gebrauchen trieb mich zur Eile.

Ihr Schreiben von hat mir in vieler Beziehung unendlich viel Freuden gewährt; ich habe es mehrmalen durchgelesen, und danke Ihnen verbindlichst dafür; die Offenheit, mit welcher Sie mir Ihre privat und öffentlichen Verhältniße mittheilten, war mir ein sprechender Beweis von der Fortdauer Ihrer ungeschwächten Freundschaft gegen mich, wofür ich Ihnen nie genug danken kann. Was ich jetzt bin und würken kann, verdanke ich allein Ihnen. – Die mir angegebenen Gründe, aus welchen man Sie nicht an irgendeine Universität ruft, und Sie es auch nicht mehr wünschen, gehen mir ein, obgleich die letztern mich nicht ganz überzeugten, was natürlich ist, indem Sie besser als ich Ihren Standpunkt zur Außenwelt zu würdigen wißen. Sorgen Sie nur für die Herstellung Ihres körperlichen Wohlseins, damit Sie wieder als Schriftsteller zu würken Lust und Muße erhalten. Zu der Verbeserung ihrer finanziellen Verhältniße sowohl, als zu der Ihrer amtlichen Verhältniße wünsche ich Ihnen Glück; vielleicht gewöhnt sich endlich Ihr Körper auch an das unfreundliche Klima in München, und es verschwinden dann die schmerzlichen Mißtöne alle in Ihrem äußern Leben.

Morgen frühe reise in Gesellschaft der Pofessoren Behr, Brendl und Textor an den Rhein ab, um bei günstiger Witterung durch Holland bis ans Meer und von da über Antwerpen nach Brüssel, und über Achen wieder zurückzugehen. Ich bedarf einer Erholung, und verspreche sie mir auch, wenn die Witterung gut bleibt; bis zur gedenken wir – zu einen Theil der Weinlese – wieder hier einzutreffen. Wir werden auf unserer Reise hoffentlich mancherlei Interessantes sehen und hören, was ich Ihnen zur Zeit auch mittheilen werde. Begleiten Sie uns mit Ihren wohlwollenden Wünschen, die gewiß nicht ohne Wirkung auf aus bleiben werden.

Wie kommt es denn, daß Hegel einen so vortheilhaften Ruf nach Berlin erhalten hat? man behauptet doch allgemein, daß sein Vortrag höchst trocken und unangenehm sey, und daß er wenig Beifall damit einerndte. – Ich bin begierig, was ich in Bonn über die dort zu errichtende Universität hören werde. — Eschenmaiers Religionslehre habe ich jüngst gelesen, und mich unendlich getäuscht gefunden; dieser Mann befindet sich mit seinen Fantasien außerhalb der Philosophie, was er freilich selbst auch eingesteht. — Vielleicht sehe ich auch den höchst frömerlnden Windischmann. –– Jüngst habe ich Briefe vom Volksdichter Rükert aus Rom gelesen, worin er sich freut, daß es den Jüngern Künstlern in Rom gelungen sey, unsers Kronprinzen Vorliebe für die griechische Kunst zu besiegen, und für die neure religiöse zu gewinnen: – Halten Sie das für einen großen Gewinn? –

Ich bitte Sie, Ihrer liebenswürdigen Gemahlin und der Freundin Frau Köhler mich freundschaftlichst zu emphelen. Gott erhalte Sie alle gesund, und als herzliche Freunde
Ihrem
aufrichtigen Verehrer

Klein