Schelling

Schelling Nachlass-Edition


Herrn

MedicinalRath und Hofmedicus

Dr. Schelling

in

Stuttgart.

frey

Liebster Karl,

Ich hätte Dir ohne manche störende Zufälle längst wieder geschrieben. In der Nacht vom auf dem wurde meine Frau von einer heftigen Unterleibs-Entzündung befallen, welche nur durch Aderläße und Blutigel mit Mühe gedämpft wurde und ihr Leben einige Tage in Gefahr setzte. Von der übrig gebliebnen Schwäche scheint nichts mehr zu besorgen; indeß ist sie natürlich sehr angegriffen und mein Haus darüber seit 14 Tagen in ziemlicher Unruhe und Unordnung. Auch Paul klagte sich seit einigen Tagen, doch scheint das gefürchtete Übel (Scharlach oder Masern) vorüberzugehn. Es ist eine sehr ungesunde Witterung diesen .

Wegen Deiner ärztlichen Auskunft danke ich Dir bestens. Ich habe das Pulver bis jetzt nach Bedürfniß und Umständen fortgebraucht. Fast bin ich so weit, daß ich ohne solche Hülfe keine Ausleerung habe. Eine tiefer eingreifende, mehr umschaffende (wo möglich) als augenblicklich helfende Kur verlange ich besonders darum, weil ich fürchte daß das Übel tiefer liegt und partielle Verengungen des Darmcanals wo nicht schon vorhanden doch auf dem Wege sind.

Wegen des Briefs an Neurath bitte ich Dich, ihn gelegenheitlich von der Witt[w]e zu erbitten und dann zu vernichten. Er bezog sich auf Gespräche, die ich hier mit ihm hatte, und Ideen, auf die er einzugehen schien. Allein die Umstände haben sich seitdem gänzlich geändert. Der Kampf zwischen Regenten und Landständen beruhte auf einem (wenigstens von Seiten der Landstände) ganz unklaren Punct. Der Regent will Wirtemberg zum selbstständigen Reich und Staat machen; diese wollen, daß Wirtemberg ein Land bleibe, und sträuben sich ebendarum gegen die Umwandlung von Provincial- oder Land- in Reichsstände. Ich bin in dieser Hinsicht desselben Wunsches mit ihnen, nämlich daß Deutschland ein Staat oder Reich seyn möge, die einzelnen Länder aber – Länder bleiben. So lang die Illusion des deutschen Bundes – und des Bundestags besteht, ist dieser Wunsch sehr verzeihlich. Ist zwischen Regent und Volk gar nichts Drittes mehr, dann verändert sich freylich der ganze Standpunct. Da aber grade Wirtemberg ein gemeinsames Deutschland durch mehrere Erklärungen anerkannt hat, so glaubte ich, es würde nicht unmöglich seyn, die landständischen Verhandlungen von dem hohen Pferd, auf das sie besonders Wangenheim, gesetzt, wieder auf einen tieferen Standpunct herabzubringen, und so vielleicht Wirtemberg etwas von seiner mehr häuslichen Verfassung zu erhalten. Ich sehe jetzt wohl ein, daß daran nicht mehr zu denken ist, und die einmal gegebne Impulsion, jedes einzelne Land und Ländchen zu einem Staat zu machen, durchgeführt werden muß. Was geschehen soll, wird am Ende doch – aber es wird nur durch eine neue Krisis – geschehen.

Hiernach bitte ich Dich den Brief zu beurtheilen, wenn Du ihn etwa liesest – übrigens ihn, wie gesagt, niemanden weiter mitzutheilen und dann zu vernichten.

An dem Glück der liebenswürdigen Fräulein Mine nehmen wir den herzlichsten Theil; ich bitte Dich Ihr dieses in meinem und meiner Frau Namen zu bezeugen. Möge Ihr das Glück in vollem Maße werden, dessen sie in einem so vorzüglichen Grade fähig und würdig ist.

Herr von Wöllwarth hat mir Deinen Brief geschickt bis jetzt aber mich nicht besucht.

Grüße auf’s zärtlichste von uns die liebe Mutter, Deine liebe Frau und unsre Schwester.
Dein

Fr.