Liebster Bruder!
Ich danke Dir für die mir gegebnen Nachrichten von den letzten Umständen und der Bestattung unsres verewigten Vaters, so schmerzhaft sie mir gewesen sind. Es wird mir schwer, an den Gedanken mich zu gewöhnen, daß der gute Vater nicht mehr unter uns ist. Ein Leben wie das seinige verklärt sich erst recht im Tode, wenn alles Außerwesentliche dahin ist und nur das reine Bild des inneren Menschen bleibt.
Dem Himmel sey Dank, daß die Gute Mutter der Größe ihres gerechten Schmerzes nicht unterlegen ist. Tröste und stärke sie, wie Du weißt und kannst; auch physisch, damit sie uns erhalten werde; wir haben den Vater noch nicht ganz verloren, so lange sie lebt.
Ich habe freylich gedacht, sie würde bey Dir wohnen können. Wenn es aber nicht seyn kann auf eine Art, die ihr gemäß und angenehm ist, so finde ich besser, daß es nicht geschehe. Ich wünsche in diesem Fall, daß sie auch nicht für’s Erste oder einstweilen bey Dir wohne. Es hat nichts Auffallendes, wenn sie bey einem andern ihrer Kinder wohnt; aber es würde auffallen, wenn sie von Dir auszöge. Du wirst schon Mittel und Wege finden, ihr inzwischen ein anständiges Unterkommen zu verschaffen. Ich bitte Dich auch in meinem Namen zu thun, was möglich ist. Wenn die Mittel der guten Mutter nicht zureichen: so will ich schon Rath schaffen. Ich habe, wie in prophetischem Geist, der Mutter gleich in dem Brief, den Du hoffentlich erhalten hast, geschrieben, sie sollte doch zu mir kommen. Ich habe alles mögliche Zutrauen zu der wirklich edelen Denkart unsres Schwagers, wie zu dem guten Herzen unserer Schwester. Ich zweifle nicht, sie werden alles aufbieten, um der guten Mutter eine angenehme Lage zu bereiten. Aber können sie immer wie sie wollen? – Du weißt, daß sie sich selber einschränken müssen, und da die gute Mutter in dem nämlichen Fall ist, so fürchte ich der kaum zu entfernende Anblick einer gewissen Kümmerlichkeit werde der Mutter nicht zusagen, die in ihrem Leben so reichlich und gegen alle Menschen freygebig zu leben gewohnt war. Die Wohnungen in Stuttgart, die nicht theuer bezahlt werden, sind so unangenehm, eng und finster. Hier kann man wohlfeil doch angenehmer wohnen. Ich könnte mir die gute Mutter nicht in einem sonnenleeren, engen, aussichtslosen Stübchen denken. Ich habe eben ein kleines Quartier zu meiner Disposition, das in dem nämlichen Haus und der nämlichen Etage mit meiner Wohnung ist, ausnehmend heiter und mit der schönsten Aussicht. Die Mutter würde sich darinn vorkommen als wohnte sie auf dem Lande. Alle übrige Lebens-Gemächlichkeit könnten wir ihr leicht bereiten, und so gering ihr Einkommen seyn mag, getrauen wir uns doch alles so einzurichten, daß sie nicht nur anständig, sondern auch angenehm und nach ihrer Weise leben kann. Ich habe mich auf den Fuß gesetzt, nur mit wenigen auserlesnen Menschen umzugehen, still und häuslich zu leben; was ich um so eher durchsetzen kann, als meine Frau und ich beyde hier fremd sind. Kurz ich glaube, sie würde es so bey uns finden, wie es ihr gemäß und lieb ist. Ich würde es als Glück und Segen betrachten, die Mutter in ihren alten Tagen bey mir zu haben, zugleich als Ersatz für die frühe Trennung von unsrer Familie, an der ich immer mit so großer Innigkeit gehangen habe. Meine Frau hat die nämliche Gesinnung; sie ist heiter, vertragsam und ganz für ein friedliches, häusliches Leben. Es wäre freylich ein großer Entschluß für die Mutter, ihr Geburtsland zu verlassen. Aber sie würde sich doch bey mir, wie zu Hause fühlen; sollte sie je sich nicht gewöhnen können, so wäre damit nichts verloren; ich könnte sie ja immer, nach Verfluß eines Halbjahrs oder Jahrs wieder zurückbringen. Ich zweifle aber keinen Augenblick, daß sie hier bey uns sich heimlich und traulich fühlen würde. Ich schreibe Dir dieß alles nur zu dem Ende, damit, wenn die Mutter Lust dazu bezeugte, Du es ihr nicht ausredest, sondern soviel möglich selbst zur Ausführung dieses meines Wunsches behülflich seyst. Ich weiß wohl, welche Verpflichtungen ich dadurch auf mich nehmen würde; aber ich gelobe auch Dir und unsern Geschwistern die treueste Erfüllung derselben. Daß sie diesen schon hier wäre, könnte ich nicht wünschen, noch ihr zumuthen. Es gewöhnt sich überall im Winter schwerer; auch wird die Reise mühseliger. Ich wünsche also, daß Du für diesen Winter eine Einrichtung treffest. Ich weiß nicht, ob der Schwager schon diesen Herbst seine Wohnung verändern kann; wäre es nicht, so müßte ja doch die Mutter für sich wohnen. Wäre es nun ihr Wille auf’s zu mir zu kommen: so könnte Groß seine Wohnung behalten, wenn sie ihm, wie ich denke, für seine Bedürfnisse groß genug ist, und die Veränderung wäre ihm erspart. Aufs Frühjahr würde ich dann die Mutter in Ulm abholen und bey dieser Gelegenheit das Vergnügen haben, auch Dich wieder zu sehen.
Ich brauche Dich nicht zu bitten, liebster Bruder, alles anzuwenden, um die Lage der Mutter einstweilen so gut einzurichten als möglich; der große Entschluß, nach München zu ziehen, muß freylich rein von ihr selbst ausgehen. Bey solchen Ereignissen, wie das ist, das uns betroffen, bleibt es immer das Schmerzlichste, wenn mit dem Tod des Familien-Hauptes auch die Familie selbst sich auflöst. Dieß wird bey uns nie seyn; den Charakter der Einigkeit und inniger gegenseitiger Anhänglichkeit darf sie nicht verlieren, sie muß, auch unter dem jetzt unsichtbaren Oberhaupt unsers verewigten Vaters, immer Eins in Treue und Liebe bleiben. – –
Die besten Grüße von mir und meiner Frau an Dich und Deine Frau; entschuldige sie, daß sie Dir noch immer nicht geschrieben; die Unruhen unsres Einzugs in der Stadt und manche andre Beschwerden haben sie bis jetzt nicht dazu kommen lassen. –
Lebe wohl, bleibe gesund und gedenke meiner in Liebe.
Dein
treuer Bruder
Fr.