Schelling

Schelling Nachlass-Edition


Unmöglich ist mir, die Freude auszudrücken, welche wir über Ihr letztes Schreiben empfunden, liebste, beste Mamma. Gott sey ewig gepriesen, daß er uns unsern guten Karl wieder geschenkt hat. Ich selbst lebe erst wieder auf, seit ich die Gewißheit davon habe. Vielleicht werden wir nun noch Ursache finden, die Verhängung dieser Krankheit mit einer gütigen Absicht verbunden zu denken. Es war fast nicht anders möglich, als daß Karl einmal eine solche Hauptkrankheit durchmachte. Ich habe sie lange gefürchtet, besonders seit dem ich ihn das letztemal gesehen. Seine zur Ruhe und Stille geneigte Natur konnte sich zu dem beweglichen viel beschäftigten Leben nicht ohne Widerstreben verstehen. Jetzt wird, wie es bey solchen Krankheiten gewöhnlich ist, seine Natur zum Theil sich umgestalten und eine neue kräftige, nicht sobald wieder zu störende Verfassung annehmen. So wie mir die Krankheit beschrieben, kann ich sie doch für nichts andres als ein wahres Nervenfieber halten. Die Nachwehen werden noch eine Zeitlang dauren, die Hitze im Kopf nicht gleich aufhören. Aber alle Zufälle sind jetzt unbedenklich, wenn Karl nur sich recht schont und besonders seine Muskelkraft nicht zu früh brauchen will. Glücklicherweise geht die Jahreszeit jetzt auch dem zu. Da haben wir denn einen Gedanken, den ich nun gleich äußern will, weil jetzt vielleicht am ehesten der Entschluß gefaßt wird. Nämlich Karl soll, wenn er in der Reconvalescenz soweit vorgeschritten, um das Reisen ertragen zu können, zu seiner letzten Erhohlung und noch eh’ er seine ärztliche Praxis wieder anfängt, mit seiner lieben Frau hieher kommen und einige Wochen unter andern Gegenständen und Menschen verweilen. Ich bin gewiß, eine solche Zerstreuung würde auf ihn den vortheilhaftesten Einfluß haben, auch die liebe Schwägerin würde so schneller das Leid der früheren Tage vergessen. Daß Du liebste Großmamma sich mit anschließt, um ihr Paulemändele wieder zu sehen, versteht sich von selbst. Es ist nicht Scherz von mir, sondern völliger Ernst. Bis dahin bin ich wieder frey von Arbeiten; wir können alles recht gut und so einrichten, daß Sie drey einige Wochen bey uns recht vergnügt seyn sollen. Eine andere Aussicht habe ich doch nicht, Karle und seine Frau auch einmal bey uns zu sehen. Wenn diese Gelegenheit nicht benutzt wird, da er die gegründetste Ursache hat, seine Praxis ruhen zu lassen und zugleich auch Reise-Erlaubniß zu begehren, so werden wir wohl nie dieses Vergnügen genießen. Nun wende ich mich an die liebste, beste Mamma, die soll den Gedanken zu Stande bringen; es wäre ewig Schade, wenn er nicht ausgeführt würde. Ich bin überzeugt, daß ihn alle Verwandte und Freunde passend, ja vortrefflich finden müssen. Mit Zuversicht hoffen wir also, daß Sie, liebste Mamma, dieses Gedankens sich treulich annehmen und alles anwenden, daß er in Wirklichkeit gesetzt werde. Welche Freude, auch Sie, liebste Mamma, wieder sobald, als wir uns kaum schmeicheln durften, wenn auch nur auf einige Wochen, wieder bey uns zu sehen! Denken Sie nur an Ihr allerliebstes Paulmännchen, das Ihnen nun schon entgegensehen würde, und das nie von der Grosmamma hört ohne zu jauchzen. Auch Breyers, die an Karls Krankheit und Genesung theil genommen, sind über eine dem Karl nöthige Reise mit uns Einer Meynung.

Was die Lüge von meinem katholisch Werden betrifft, so ist sie zwar wahrscheinlich sehr böslich gemeynt, indeß zu abgeschmackt, um mir wirklich schaden zu können. Ich bedaure nur, daß man auch Sie damit nicht verschont, ja dieselbe für Sie durch Zusätze noch verdrießlicher zu machen gesucht hat. Selbst sie zu wider legen wäre ganz unter meiner Würde; sonst sollte mich die Rücksicht auf die hiesige Regierung nicht abhalten, was auch übrigens nicht nöthig wäre. Es wird aber schon von andern Seiten in die Zeitungen kommen, daß es eine Lüge ist. Ziehen Sie sich also doch die Sache nicht weiter zu Herzen; es wird meinen Feinden doch nicht gelingen; mein Glück und Wohlergehen steht nicht in Menschen- sondern in Gottes Hand.

Nun freuen Sie sich aber recht Ihres wiedergeschenkten Karlmännchens; könnte ich mich doch mit Ihnen freuen und auch nur mit Worten, doch Etwas thun zur Aufheiterung meines liebsten Bruders. Grüßen Sie ihn von mir viele tausend Mal, so wie seine liebe Frau und alle unsre Angehörigen. Gaupp’s Unglück haben wir auch recht bedauert. Denken Sie nur fein darauf, auch Sich recht zu erhohlen und jetzt zu schonen, besonders aber lassen Sie Sich meinen Lieblings-Gedanken empfohlen seyn. Gott erhalte und stärke Sie!

Ich bin mit zärtlichster Liebe
Ihr
treugeh˖[orsamster]

Fr.