Schelling

Schelling Nachlass-Edition


Endlich gelange ich dazu, Ihnen mein sehr werther Freund, wieder zu schreiben. Eine wichtige Lebensveränderung, die mir alle Umstände geboten, ist Gott sey Dank zu meinem, (ich hoffe, ja ich bin es gewiß) wahren und daurenden Glücke vollbracht; ich habe wieder eine Frau genommen, ein Weib nach meinem Herzen. – Dieses Lebensereigniß hat mir denn, für eine Zeitlang meine literarischen Untersuchungen, also auch die Kriege, in denen ich nothgedrungen lebe, einigermaßen in die Ferne gerückt, ob ich gleich nicht umhin kann, darauf zurückzukommen, so lang’ noch die höchst verderbliche Wirkung der Halbheit, die den Glauben gegen das Wissen kehrt und des wahren Glaubens vor ihrem schlechten Wissen sich schämt, vor Augen sehe.

Ich will nicht mit Ihnen streiten, werthgeschäzter Freund, ob ich zu weit gegangen, ob ich zuviel Rache geübt, jeder urtheilt hier nach seinem Gefühl, seiner Kenntniß der Sache; ich habe gehandelt nach meiner Einsicht, nach der Art, wie ich meine Lage begreife; vielleicht unschuldiger als es den Anschein hat, weil vielleicht ohne dieses weniger Gute auch das Bessere nicht geleistet werden könnte. Über den Hamann’schen Briefwechsel habe ich, haben viele andre gestaunt wie Sie. »Wie öde, wie leer, schreibt mir einer, muß Hamann das ganze I˖[rdi]sche Wesen vorgekommen seyn, als er aus tiefem Herzen schrieb: In’s Himmelreich hilft kein Salto mortale«.

Ich erinnere mich zwar nicht, Sie um Übergabe meines Buches an den würdigen Reimarus gebeten zu haben, (ich glaube, daß ich Sie bat, wenn es möglich wäre, Claudius zum Lesen desselben zu vermögen; doch haben Sie gut gethan und ich danke Ihnen dafür. Reimarus ist ein Mann aus der alten Zeit, der nur nach dem eingerissenen Mangel an Unterscheidungsgabe so über Jacobi urtheilen kann, als er es gethan hat. Ein schöneres Ex˖[emplar] geht nun mit dem nächsten Postwagen für Sie ab; das sollen Sie behalten, und ja nicht meynen daß ich Dank dafür begehre, da ich Ihnen für die wie bisher immerfort überschickte Religionsgeschichte von Stollberg noch nicht einmal gedankt habe.

Herrn Meyer’s Brief hat mir doppeltes Vergnügen gemacht, da er mir zugleich die angenehmen Unterredungen mit ihm zurückrief. Hier meine Antwort. Tragen Sie auch ferner dazu bey, unser Verhältniß warm zu erhalten.

Meinen besten Dank wegen Ihrer Vermittlung mit Niebuhr; ich werde ihm nun diese Tage ebenfalls schreiben.

Nach dem Brief des sel˖[igen] Runge habe ich lange gesucht, aber bey der Unordnung, in welcher sich diese Art von Papieren bey mir befindet, ihn bis jetzt nicht gefunden. Sollte er mir früh oder spät wieder zur Hand kommen, so soll er dem Bruder des Mannes nicht entzogen werden, den ich in seinen Arbeiten und Äußerungen mit wahrer Liebe betrachtet.

Die Stelle in Joh˖[annes] Müllers Werken auf die Sie mich aufmerksam machen habe ich noch immer nicht Zeit gefunden, nachzusehn, sie muß bey der ersten Lektüre mir ganz entgangen seyn.

Meine Zeitschrift wird denn zu anfangen. Ich folge bey diesem Entschluß einem Gefühl, das mir sagt, daß eine solche Zeitschrift, wie ich sie mir denke, ein Bedürfniß der Zeit ist und von vielen gleichsam verlangt wird. Ich wünschte, es wäre ein Freund, dem ich das Geschäft übertragen könnte, für das ich im Grunde nicht gemacht bin. Doch werde ich es an Fleiß und Sorgfalt nicht fehlen lassen. Ihre vielfachen Verbindungen bieten Ihnen gewiß auch Mittel dar, mich mitunter durch einen Beytrag zu erfreuen.

Was Ihnen der Art vorkommt, wovon Sie keinen besseren Gebrauch machen können, das lassen Sie doch mir zukommen. Das Deutsche Museum scheint bereits, ich weiß nicht warum? zu stocken. Dürfte ich auf einen Beytrag von Claudius niemals Hoffnung machen?

Leben Sie wohl und erhalten Sie mir Ihre Freundschaft, die meinige bleibt unverändert!
Ihr
ganz ergebner

Schelling