Schelling

Schelling Nachlass-Edition


Verehrtester Herr GeheimerHofrath!

Ich war gegen 12 Uhr in Ihrer Behausung, um theils mich zu Ihren Sommervorlesungen zu melden und näher darüber zu erkundigen, theils über die anbei folgende schriftliche Beilage mit Ihnen zu sprechen.

Auf den Fall nun, daß ich wiederum nicht die Ehre haben sollte, Sie zu Hause zu treffen, bin ich so frei, jener schriftlichen Beilage Folgendes, zur Erklärung ihrer selbst wie meines Wunsches bei ihrer Übersendung, hinzuzufügen.

Nachdem ich seit den allgemeinen Unterricht in den Leibesübungen im K˖[öniglichen] Cadettencorps geleitet, nachdem der König mir auch den gleichen Turnunterricht für seine drei Prinzen seit anvertraute, ließ Er mir kurz vor im Cabinette durch Herrn von Grandauer eröffnen, daß Er noch für diesen Sommer die Errichtung einer allgemeinen öffentlichen Turnanstalt für die gesammte Schuljugend beschlossen und mir somit die Leitung auch dieser übertragen habe.

Noch denselbigen Abend () arbeitete ich beiliegenden Aufsatz aus über die Art und Weise, wie Turnübungen in solcher allgem˖[einen] Anstalt organisch zu physischem und psychischen Gewinne zu betreiben seien, ferner über Einrichtung und Vorrichtungen solches Turnplatzes (und Turnsaales), endlich über die Nothwendigkeit, daß nicht nur der Student, sondern jedes Alter der Jugend Theil haben müsse usw. – und reichte diesen Aufsatz in das K˖[önigliche] Cabinet ein.

Von diesem, in jener kurzen Zeitfrist, was seinen Styl betrifft, freilich nur flüchtig hingeworfenen Aufsatze (es galt hier ja wesentlich nur die Sache) leg’ ich Ihnen, verehrtester Herr Geh˖[eimer] Hofrath nun eine Abschrift bei, mit der herzlichen Bitte, auch dieser Angelegenheit des Jugendlebens, dem Sie mit so hoher Einsicht und so tiefem Ernste in der Prüfungscommission des Studienplanes das Vaterwort führen, Ihre prüfende, geltend machende Beachtung und Theilnahme zuzuwenden.

Nur zweimal bis jetzt (in den öffentlichen Sitzungen der Akademie) habe ich die Freude und den Geistesgenuß gehabt, Ihr freies und treues Wort zu hören (in den Stunden, wo ich im vorigen Halbjahr so sehnlich gern Ihre Vorlesungen mitgehört hätte, hatte ich täglich im Cadettencorps meinen Turnunterricht), aber Ihr erstes Wort, das Sie am des Königs sprachen – es hat meine Seele durchklungen und durchdrungen und mir die kindlichste Verehrung abgezwungen, mit deren Geständniß ich als werdender Mann sonst so kinderleicht nicht herausgehe. – – –

Ich habe sehnlichst den ferneren geistigen Verkehr gewünscht; aber es ist nicht meine Art, mich geschwätzig, oder geschäftig oder gefällig einzudrängen: dazu habe ich nicht mal Zeit, vielweniger Sie; am Wenigsten würden Sie solche Unmännlichkeit achten. –

Indem ich mich also innig freute, als Sie Ihre Vorlesungen für auf die Morgenstunden verlegten, wo ich weder durch eigne Vorlesungen noch durch jenen Turnunterricht abgehalten bin, habe ich, da es bei der oben besprochenen Angelegenheit nicht mehr persönlicher Wunsch gilt, wohl den Muth, Ihre sonst schon in den Sitzungen der Prüfungscommission kundgegebene heiligernste Theilnahme für die rechte Jugendbildung im Vaterlande auch für die, mir für unsre Tage hochwichtig erscheinende, Angelegenheit der Leibesübungen anzurufen.

Widmen Sie dem Aufsatze einige Augenblicke und übersehen Sie dabei die Eilfertigkeit seiner Abfassung.

Aus der Tiefe Ihrer Erkenntniß ist Ihnen auch klar und gewiß, was zunächst unsren Tagen Noth thut, vor Allem der Wiedergewinnung eines gesundsinnigen Jugendlebens sowohl für das Leben selber, als auch für Wissenschaft und Kunst, den Säulen und den Sonnen des Lebens.

Ich bin so frei, in einigen Tagen jene Abschrift mir wieder abzuholen und verbleibe in aufrichtigster Verehrung
Ihr ergebenster

H.F. Maßmann Dr. Docens.
Arcisstr. 218.