Schelling

Schelling Nachlass-Edition


Ich will Dir nur gleich heute schreiben, liebster Bruder; denn seitdem Du uns verlassen, kommt es uns so öde und einsam vor, daß wir meynen, Dich mit unsern Gedanken wieder herbeyziehen zu müssen. Gar zu kurz war die schöne Zeit, in der wir Deiner genießen konnten, und weil kein Glück vollkommen sein soll, mußte ich auch noch so manchen Tag von den wenigen, durch mein Kränkeln unfähig gemacht werden. Es ist uns jetzt als hätten wir das Glück Dich zu besitzen, noch mit viel mehr Freude und Dank gegen Gott genießen können; aber so geht es immer, eine große Freude macht uns zuerst wie verblüfft und verduzt, und erst im Nachgefühl wissen wir eigentlich, was wir empfunden. Hättest Du nur bis heute gewartet, denn schon kündigt sich eine Veränderung der Witterung bey uns an und Du würdest weniger vom kalten Wind leiden als es der Fall war. Nehme doch ja Deiner Gesundheit recht in Acht; wenn Deine Pferde nicht in Stand sind, so hoffe ich, Du wirst Dich nicht mit ihnen schleppen, weil Du mehr Schaden an Deiner Gesundheit davon haben würdest, als die kleine Ersparung werth wäre. Ich wünsche nichts inniger, als daß Dir die Rückreise durch keinen weiteren unangenehmen Vorfall verdorben werde. Denn Du warst so gut und hast es Dir bey all’ unsrer Beschränktheit so wohl bey uns gefallen lassen, daß wir doppelt wünschen, die freundliche Erinnerung möge Dir ungetrübt bleiben. Wäre nur der unfreundliche Wind nicht! – Paul sucht Euch unabläßig in allen Zimmern und theilt so ganz die Empfindungen seiner Eltern. Breyers haben uns gestern gleich besucht uns in der Einsamkeit zu trösten, was auch sehr nöthig war.

Ich konnte den Brief nicht vollenden; heute Nachm˖[ittag] erst bringt uns der Kutscher Deinen und der lieben Mutter Briefe. Wir freuten uns herzlich, daß Ihr wohlbehalten in Augsb˖[urg] angekommen seyd, und dieser erste Tag wenigstens Deiner Gesundheit nicht zugesetzt hat. Desto banger wird mir für den zweyten, Du scheinst doch mit den eignen Pferden fortzuwollen, der Kutscher aber sagt aus, der eine Schimmel sey noch ganz roh und Du seyst erst Morgens 10 Uhr mit der Post abgefahren. Das Letzte beruhigt mich um etwas.

So bald etwas von Dir zu hören hat uns äußerst wohlgethan, denn noch können wir die Leere, die uns entstanden, weder vergessen, noch ausfüllen. Wir meynen, es sey nicht möglich, daß wir so weit von einander seyn sollen. Um so mehr freut mich, daß auch Du mit dem Wunsch, ja mit einiger Hoffnung eines künftigen Zusammenlebens scheidest. Ich sehe freylich wenig Möglichkeit dazu, aber das weiß ich, daß ich an jedem Ort der Welt vergnügter und mit mir selbst einiger und zufriedner mit Dir leben würde als an jedem ohne Dich.

Du siehst die wenige Freude, die Du bey uns genossen, zu sehr nach Deiner Liebe an. Wir konnten so wenig thun, Dir den Aufenthalt ganz und vollkommen angenehm zu machen. Tief beschämt und fast betrübt aber hast Du uns dadurch, daß Du uns noch Geschenke zurückgelassen, nachdem Du uns bey der Ankunft mit Gaben überhäuft. So solltest Du es nicht mit uns halten!

Unsre Gedanken folgen Dir unaufhörlich auf der Reise. Mögen wir bald durch Nachrichten von Deiner glücklichen Ankunft erfreut werden! Könntest Du sie nur in Stuttgart wenigstens einen Tag geheim halten. Ruhe Dich ja erst recht aus, ehe Du Deine ### wieder beginnst, und schone Deiner ja so viel nur immer möglich. Denn an Dir hängt all’ unsere Freude und Glück.

Wir befinden uns alle wohl, die kleine Unruhe hat meiner Frau gewiß eher genutzt als geschadet.

Ich habe den Brief bis heute liegen gelassen, weil ich noch gern an die Mamma, und auch an Cotta schreiben wollte. Letzteres ist nun doch nicht geschehen. Ich schicke diesen Brief vielleicht nach; kannst Du ihm ihn auf eine Art zubringen als hättest Du ihn mitgebracht, so wär’ es mir lieb.

Nun nur noch in Eile den herzlichsten Dank für Deine Reise hieher, die ich Dir nie genug verdanken kann. Die zärtlichsten Grüße an Deine liebe Frau; ehrerbietigste Empfeh˖[lungen] an Herrn Oncle Prälat! Gott erhalte Dich und stärke Dich Du liebstes Bruderherz, Du wahrhaft animae dimidium meae!
Dein

Br[uder]