Schelling

Schelling Nachlass-Edition


An

Frau Directorin von Schelling

in

München.

Vor dem Karlsthor

Links No. 1299 im

Eckhaus über 2 Stiegen

vorn heraus.

Dem Kutscher ist ein Trinkgeld versprochen, wenn er den Brief richtig und bald überliefert

No. 4.

Liebste, beste Frau!

Ich hätte heute die schönste Gelegenheit mit einer ganz leeren Retour-Kutsche wieder zu Dir und meinen lieben Kindern zu kommen. Da ich aber Deine Ansicht noch nicht weiß, so habe ich mich, bis mein Orakel sich äußert, um so mehr entschlossen, noch, so schwer mir die Trennung von Dir und meinen lieben Kindern fällt, hier zu bleiben, da mich der liebe Gott so sichtbar in meiner Arbeit fördert und außer dem Gram, nicht bey Dir und den Kindern zu seyn, nichts mich stört, nicht die Nebel, die seit jeden Morgen aufsteigen, nicht das Regenwetter, das heut’ eingefallen ist. Denn ich denke nur an zwey Sachen, an meine Lieben zu Hause und an meine Arbeit; ich würdige den See keines Blicks, die Berge, die mich sonst erhoben, gefallen mir nicht – für nichts Andres habe ich Sinn. Da ich aber nicht selbst mit dem Wagen komme, will ich doch die Gelegenheit nicht vorbeylassen, Dir (ich weiß, es geschieht damit) durch ein Paar flüchtige Zeilen meine Liebe zu bezeugen. Schreiben kann ich Dir freylich nichts, als das Alte doch ewig Neue, wie sehr ich Dich liebe und die Kinder, wie schwer mir die Trennnung täglich, ja stündlich auf’s Herz fällt, doch zugleich, daß es mir außerdem völlig nach Wunsch geht, daß wenn Ort, Jahrszeit und Gelegenheit erlaubten, Dich mit den Kindern hier, wär’ es auch in einem Baurenhaus unterzubringen, nichts zu meinem Glück fehlte; denn ungestörter kann man nicht seyn, selbst das Capellen-Glöckchen neben mir ertönt täglich nur 2mal, es ist bey Tag so still wie in der Nacht ja stiller, als an manchen Orten; die Leute sind so gut, freundlich und gefällig, als man sich nur denken kann; ein gutes Rindfleisch habe ich jeden Mittag, treffliche Spießbraten jeden Abend, der Ofen Morgens Einmal geheizt wärmt den ganzen Tag; Morgens 5 1/2 Uhr ist mein Caffee da; ich gehe gewöhnlich 9 1/2 Uhr zu Bett, obschon meine Natur sich noch nicht gewöhnt hat so früh’ zu schlafen, oder sind es die Gedanken an Dich und die Kinder, die mich nicht schlafen lassen? denn daß ich um diese Zeit mich am meisten nach Haus sehne, ist natürlich.

Nun muß ich schließen. Erspare mir, meine Empfindungen für Dich und die Kinder auszudrücken. Ich kann nichts thun, als Euch Gott befehlen. Was Du thust, sorge für Deine Gesundheit. Weiß ich Dich wohl und guter oder doch leidlicher Dinge, so ficht mich nichts an; die lieben Küchlein schlummern und wachen sicher unter deinen Flügeln. Nun nur noch den Wunsch, daß Du den Brief lesen könnest, den so eben der Kutscher abholt.

Dein

Sch.