Schelling

Schelling Nachlass-Edition


Das Nächste ist, Ihnen für alle die vielen Beweise von Güte, treuer Fürsorge und Theilnahme für Paul innigst zu danken, unter denen die ihm mitgegebnen Bemerkungen nicht der geringste sind. Die eigne Ansicht und Erfahrung hat mir diese in allem, worinn sie für Paul minder günstig lauten, nur zu sehr bestätigt. Ich sage nichts von seinen geringen Fortschritten – beynah’ scheinen sie mir Rückschritte – in der lateinischen Composition. Vielleicht wird darauf überhaupt nicht mehr dieselbe Wichtigkeit wie ehemals gelegt; wenigstens fand ich in Correcturen des Herrn Prof. Fink Nachläßigkeiten, wie ut mit dem Indic˖[ativ] und ähnliche ungerügt, und wo »eine geehrte Leiche (den Händen des Feindes entreißen)« mit funus honestum übersetzt war, das Beywort angestrichen, das Hauptwort ohne Bemerkung durchgelassen; ebenso in Versen Verstöße gegen die Quantität der Sylben, wie eӑligo und ä[hnliches]. Ich konnte mich eingermaßen damit trösten, daß er in griechischen Compositionen, wenigstens hier gemachten, eine in früherer Zeit ungewöhnliche oder doch sehr seltne Kenntniß des griechischen Sprachgebrauchs zeigte. Aber der allgemeine Anblick seiner mitgebrachten Scriptionen – das bey Exercitien oft sehr fehlerhaft geschriebne Deutsche, die nicht minder nachläßig aufgefaßten Conversionen, das unreine Anseh’n seiner Compositionen, nebst so manchen andern Anzeichen einer gewissen geistigen Schlaffheit und habituellen Gedankenlosigkeit im Ganzen, ließen mich auf eine gewisse moralische Verkommenheit und innre Zuchtlosigkeit schließen, die sich in seinem Benehmen, besonders in einem gewissen studentikosen Ton, den er angenommen hatte, später, nur zu sehr, immer mehr kund, und mich eine Zeitlang sogar zweifelhaft ließ, ob ich ihn überhaupt zurückschicken sollte, oder für ihn in irgend einer andern Anstalt eine strengere Zucht suchen. – Überzeugt, daß das Unstatthafte, Ungleiche und Gedankenlose seiner Arbeiten seinen Hauptgrund in einer verkehrten moralischen Richtung hat, stimme ich nicht nur den von Ihnen gewünschten Einschränkungen vollkommen bey, sondern glaube selbst noch einige hinzufügen zu müssen.

Vor allem andern, Verehrtester Freund, theuerster Vetter, habe ich zu entschuldigen, daß Paul um einige Tage später zurückkehrt. Es ist wenigstens nicht seine Schuld. Ich muß im Gegentheil ihm das Zeugniß geben, daß er an dem bestimmten Tage abzureisen, sogar mit Heftigkeit verlangte. In sofern bitte ich, auch bey Herrn Ephorus, dem ich mich angelegentlichst zu empfehlen wünsche, für ihn um Verzeihung wegen des längeren Ausbleibens sich zu verwenden.

Es ist durchaus nicht meine Meynung, daß Paul irgend eine Freyheit vor den Seminaristen voraus habe, oder sich mehr zerstreue, als für diese gut befunden wird; er soll sich den Excursionen seiner Studiengenossen anschließen, aber z.B. nach Nürtingen höchstens halbjährlich einmal und zwar zu Fuße gehen. Das Frühstück soll er mit den Seminaristen nehmen, auf keinen Fall das Geld dafür erhalten. Bier ist ihm meinerseits gänzlich, ebenso wie Tabakrauchen, untersagt; Wein höchstens zuweilen und stets nur ein mäßiger, seinem Alter angegmeßner Genuß desselben erlaubt. Da er hier eine Bekanntschaft mit den schlechtesten Romanen, z. B. Clauren’s verrathen hat, so vermuthe ich, daß er heimlich theil an irgend einer Lesegesellschaft hat, und einen Theil des von ihm vernahmten Geldes dazu verwendet. Der auf das Augsb˖[urger] Conv˖[ersations] Lex˖[ikon] gelegte Beschlag ist ganz meinem Wunsch gemäß.

Sollte er bey irgend einer Gelegenheit, wie es aus Veranlassung des Schäferfestes der Fall gewesen scheint, sich ungebärdig anstellen oder auf irgend eine andere Weise gegen die Subordination sich vergehn, so bitte ich, ihn in solchem Falle, mit denselben Strafen, wie die Seminaristen zu behandeln; nicht minder bitte ich, alle die Zwangs-Maßregeln, welche gegen herrschende Unreinlichkeit, Unaufmerksamkeit in den Collegien, und Nachläßigkeit in Ausarbeitungen angewendet werden, gegen ihn in Anwendung zu bringen, überhaupt kein Mittel ungebraucht zu lassen, wodurch sein Trotz gebrochen, seine Flatterhaftigkeit und Leichtsinnigkeit fixirt werden kann.

Eine Hauptklippe für ihn ist das Geld, mit dem er schelchterdings nicht umzugeh’n weiß. Es ist mein dringlichster Wunsch, daß er künftig kein Geld mehr zu vernehmen erhalte. Denn da er es gedankenlos verschleudert, so fürchte ich, die Verlegenheit der nachherigen Abrechnung verleite ihn zu betrüglichen Angaben. Ich fühle wohl, welche Zumuthung an Ihre Güte ich hiemit mache und muß es auf jeden Fall ganz Ihrem Ermessen anheimstellen, welche Einrichtung Sie deßhalb in Ansehung der laufenden Ausgaben (z. B. der Lichter u.a.) treffen wollen, nur den Wunsch erlaube ich mir zu äußern, daß er vor der Hand wenigstens, schlechterdings kein andres Geld, als sein wöchentliches Taschengeld von 12 x in die Hände bekomme. Daß er größere Ausgaben z.B. für Kleider, Bücher ohne Ihr Vorwissen und Ihre Zustimmung nicht machen darf, versteht sich ohnedieß von selbst.

Überhaupt und im Allgemeinen werde ich jede Einschränkung nicht nur gutheißen, sondern Ihnen von ganzem Herzen verdanken, die Sie ihm aufzulegen gut finden, und durch welche Sie hoffen können, ihn zu der gehörigen sittlichen Fassung zurückzuführen.

Bücher habe ich ihm jetzt keine anzuschaffen erlaubt, der Demosthenes, dessen er benöthiget ist, wurde ihm hier gekauft. Die Uhr habe ich zurückbehalten. Auffallend ist besonders auch seine Papierverschwendung.

Da er binnen eines Jahrs durch Privat-Unterricht nicht dahin gebracht werden konnte, die französischen Hülfswörter zu lernen, die er hier in Einem Tage zu lernen angehalten worden, so wünsche ich, daß dieser Privat-Unterricht von nun an aufhöre. Wär’ es nicht dagegen vielleicht möglich, von einem der Herrn Repetenten zu erhalten, daß er ihn in Bezug auf jene besondern (knabenhaften) Nachläßigkeiten, auf welche ihre Aufmerksamkeit zu erstrecken vielbeschäftigten Lehrern schon ihre Zeit und ihr höherer Beruf nicht erlaubt, unter specielle Aufsicht nähme, die corrigirten Exercitien, so wie die Conversionen regelmäßig mit ihm durchgienge und durch hinzugefügte Ermahnungen ihn allmälig jener Untugenden entwöhnte, welche all seine Arbeiten jetzt entstellen. Von meiner Seite würde ich es an keiner Art von Dankbarkeit und Erkenntlichkeit fehlen lassen, und mich zu allem erbieten. Sollten die Verhältnisse dieß nicht erlauben, so fände sich vielleicht unter den Seminaristen einer, der ihm durch seine Kenntnisse ebenso sehr als durch seinen Charakter Achtung einflößte, und zugleich geneigt wäre, gegen eine angemeßne Belohnung sich Paul’s auf solche Weise anzunehmen.

Ich habe Ihnen, theurester Freund, im Vertrau’n auf Ihre so vielfach und längst bewährte Freundschaft alle meine Bekümmernisse ebenso offen mitgetheilt, als der Dank von der andern Seite aufrichtig ist, mit dem ich Ihre große schon bis jetzt bewiesene Güte für Paul erkenne. Ich weiß es gar wohl, wie schwer es ist, einen solchen in sich selbst so ganz unfesten Menschen, wie Paul ist, nach jeder, geistigen und sittlichen, Erforderniß im Guten zu befestigen. Verlieren Sie die Geduld nicht, und werden Sie nicht müde, Gutes an ihm zu thun. Ich erlaube mir, Sie darum zu bitten, ob ich gleich nur zu wohl fühle, Ihnen solche Mühe nimmer und auf keine Weise nur einigermaßen vergelten zu können. Mögen Sie und Ihre verehrte Frau Gemahlin, deren gütiger, mütterlicher Fürsorge wir unsern Paul auch ferner, dankbarst wie angelegentlichst empfehlen, mit fortdauernd kräftiger Gesundheit und glücklichstem Gedeihn Ihrer lieben Kinder erfreut werden! Dieser Wunsch kommt wenigstens ebenso von Herzen als die Versicherung tiefer Anhänglichkeit und hochachtungsvollster Ergebenheit, mit welchen ich verharre,

Ihr
verbundenster Diener und Vetter

Schelling.

N.S.

Indem ich das beygefügte Inventarium unterzeichnen will, bemerke ich, daß die auf der ersten Seite ganz unten gestandne: Alterthumskunde von Nitzsch, von Paul weggeschnitten worden. Darüber zur Rede gesetzt, brauchte er als Vorwand, daß er dieses Buch in Urach nicht mehr gefunden und es darum auch nicht habe aufschreiben wollen. Es ist mir daran gelegen, diese Sache eruiert zu sehen, denn ich fürchte sehr, er hat mich mit Unwahrheit berichtet und das Buch vielmehr verhandelt, oder niemals wirklich, wie er vorgegeben, an sich gebracht. Es liegt nichts an dem Buch, sehr viel aber daran, einer solchen Handlungsweise auf den Grund zu kommen.