München .
Abhaltungen, die ich ebenso wenig vorausseh’n als vermeiden konnte, verhinderten mich in den letzten Tagen von Paul’s Anwesenheit und bis jetzt, Ihnen, mein innigst verehrter Vetter und theuerster Freund, für die Liebe zu danken, mit der Sie meinen Sohn bey Sich aufgenommen, so wie für die Treue und Güte, mit der Sie bisher Sich seiner angenommen haben. So mußte ich ihn dann ohne ein Wort von mir zurückschicken; hoffentlich hat er selbst, als Zeuge jener Abhaltungen es vorläufig entschuldigt. Hoffentlich, denn leider hat seine Flüchtigkeit und Nachläßigkeit in manchen Dingen nicht abgenommen; ein Glück, daß die Einrichtungen der dortigen Anstalten ihn zur Arbeit und Anstrengung nöthigen, dennoch immer finde ich, daß er zu wenig eignes Interesse und eigne Freude an den Gegenständen seines Lernens hat. Ich bitte Sie, theurester Freund, ihn ja gemäß seinen Jahren zu halten, den aufstrebenden Dünkel und die Einbildung von sich selbst durch alle geeigneten Mittel niederzudrücken, und ihn stets fühlen zu lassen, wie viel ihm noch fehlt, um auch nur auf dem rechten Wege und in der gehörigen Stimmung zu seyn. Ich kann mir vorstellen, daß er aus dem Geräusche und von dem Anblick so vieler ihm neuen Gegenstände der hiesigen Stadt nicht wenig zerstreut in seine Stille zurückgekehrt ist. Er ist nur zu empfänglich für alles, was ihn von seinem wahren Gegenstande abzieht, und überhaupt ganz nach außen gekehrt, fast ohne Spur von Innerlichkeit.
Er wird Ihnen 160 fl. eingehändigt haben, von welchen ich bitte, das Vorgestreckte zu nehmen, den Speisemeister zu bezahlen, den Betrag für die Wohnung und was er für besondern Unterricht schuldig ist gütigst zu berichtigen. Ein Beweis seiner Flüchtigkeit ist, daß er diese Rechnungen hier zurückgelassen, welche ich Sie bitte, ihm in anliegendem Paket zuzustellen.
Mit großem Bedauren haben wir vernommen, in welcher Gefahr so lange Zeit Ihr häusliches Glück geschwebt hat. Hoffentlich sind Sie jetzt völlig beruhigt, möge nie wieder die Ruhe und der Friede Ihres Hauses auf so schmerzliche Art gestört werden!
Empfangen Sie nebst der verehrten Frau Gemahlin, der wir uns auf’s Angelegenste empfehlen, nochmals meinen und meiner Frau innigsten Dank für alle Güte, die Sie unsrem Paul anzeigen; möge er sich derselben stets würdig betragen! Entschuldigen Sie zugleich das Flüchtige und Abgerißne dieses Schreibens; ich hoffe, in der wenigstens auf einige Stunden nach Urach zu kommen, und über Manches noch genauer und ausführlicher mit Ihnen reden zu können. (Ich bitte von diesem Vorsatz Paul nichts zu sagen).
Dem würdigen Herrn Ephorus und sämmtlichen verehrten Lehrern, denen Paul so viel schuldig ist und die sich gütig für ihn interessiren, bitte ich mit meinen ehrerbietigsten Empfehlungen zugleich meinen verbindlichsten Dank auszudrücken.
Mit innigster Verehrung und unverbrüchlicher Anhänglichkeit
Ihr
treuergebenster und verbundenster
Schelling.