An Herrn Dir˖[ector] von Schelling
den .
Hochverehrter College und Freund
Ich meyne, es der Acht[un]g, die ich Ihnen gewidmet habe, und dem offnen Benehmen, das überall zwischen uns statt findet, schuldig zu seyn, Ihnen von einem Gedanken, der mich zeither beschäftigt hat und von dem, was in Folge dessen geschehen, Nachricht zu geben.
Es war der Wunsch in mir entstanden, den Anfang des , in das wir getreten sind, dadurch zu feyern, daß ich in den ersten Tagen desselben einige mir vorzüglich werthe und in mir besonders liebe alte Erinnerungen weckende, Familien zu einem Mittagsmahl bey mir vereinen wollte; dieß sollte Jacobi mit s˖[einen] Schwestern , Sie und Thiersch mit ihren Frauen seyn. Sie, m˖[ein] v[erehrter] Fr˖[eund], hatten sich zeither öfter im gelegentlichen Gespräch zu mir so ausgedrückt, daß ich, den wissenschaftlichen Gegensatz ausgenommen, keinen Groll gegen Jacobi in Ihren Gesinnungen wahrnahm, und Jacobi hinwieder hatte Ihrer auch oft im Gespräch zu mir auf eine Art erwähnt, wie man nur von einem Mann spricht, dessen Wichtigkeit und Werth man anerkennt.
Ich habe Ihnen, wenn es das Gespräch herbey führte, wiederhohlt geäußert, wie fest ich überzeugt sey, daß Jacobi nie die Absicht gehabt habe, Ihnen, außer dem wissenschaftlichen Gegensatz, weh zu thun, und daß also, was Sie entrüstet habe, in einer schriftstellerischen Fassung (die auch mir mißfalle) sein Grund habe, in einem Autorfehler, nicht aber in einem Herzen, das Ihnen Böses zufügen und Ihnen, als Mensch, schaden wolle.
Ohne nun eine Vermittlungsscene herbey führen zu wollen, zu der keiner von Ihnen beyden mir auch nur die entfernteste Veranlass[un]g gegeben hat, meynte ich, mir selbst kein größeres Fest geben zu können, als wenn zwey Männer, die ich beyde so aufrichtig hochachte, die sich in einiger Freundschaft für mich, in der Anerkenn[un]g meines ehrlichen Strebens, alles ächt Gute, um mich her auf meine Weise zu foddern, begegnen, sich nach langer Verstimmung gegen einander auch gesellig bey mir zum erstenmal wieder begegneten, sich wieder sähen, ohne des alten Haders zu erwähnen, aber auch eben so wenig, ohne von einem zudringlichen Mittler zu einer Versöhnungs Feyerlichkeit getrieben zu werden.
Ich nahm mir vor, zuerst dem Präs˖[identen] Jacobi meinen auf jeden Fall unschuldigen Wunsch in wahrhaft kindlichem Zutrauen und auch nur ihm allein, mitzutheilen, und that es ungefähr mit Anführ[un]g dessen, was ich hier so eben niedergeschrieben. Jacobi hörte mich an, erklärte mir aber sogleich, daß dieß so nicht statt haben könne; Sie hätten ihn wie einen Einfältigen und wie einen Heuchler zugleich hingestellt und seinen Charakter angegriffen; dieß lasse sich von seiner Seite nur vergessen, wenn Sie es im Zorn gethan hätten und dieses erklärten; so lange aber keine solche Erklärung von Ihnen statt fände, glaube er es sich selbst schuldig zu seyn, daß er sich mit Ihnen nicht sehe od˖[er] gesellig zusammen trefe.
So lies ich das Gepräch fallen und sah meinen Wunsch für nicht ausführbar an.
Gleichwohl beschäftigt mich seitdem der Gedanke, es verhalte sich wirklich die Sache so, daß zwischen ihnen beyden verständiger Weise kein fortgesetzter Groll oder Abneigung statt finde.
Ich nehme an, Jacobi sage, was ich in seiner Gegenwart schon oft, dann zu andern mit voller Ueberzeugung gesagt habe, und jetzt hier wieder sage – er habe, abgesehen von der wissenschaftlichen Bestreitung, Sie nicht necken, nicht beleidigen, nicht herabsetzen wollen; er achte die freye Forschung und sehe all Ihr wissenschaftliches Streben, auch da wo er ihm entgegen trete, für recht an, so fern es die Ueberzeugung eines Denkers ehrlich ausspreche, da die wichtigsten Gegenstände menschlichen Denkens nur durch allseitiges Behandeln in das Licht gesetzt werden könnten, das ihnen doch einmal zu Theil werden muß.
Eine solche Gesinnung gegen sich haben Sie bey Jacobi nicht vorausgesetzt, als Sie jene harte Vertheidigung niederschrieben; ich sage Vertheidigung; denn Sie haben sich offenbar für angegriffen und zwar für hämisch angegriffen gehalten; Sie haben eine sträfliche Gesinnung und eine Zweydeutigkeit des Benehmens in Ihrem literarischen Gegner vorausgesetzt, durch die Ihr Unwille bis auf diesen Grad und zu einer solchen Gegenwehr, die heftiger als der Angriff ist, gesteigert wurde.
Vorausgesetzt nun eine solche Gesinnung Jacobi’s, wie ich sie annehme, so sehe ich nicht ein, was hinwieder Sie für ein Hinderniß finden sollten, zu erklären, daß jenes Buch im Zorn, im Unwillen gegen eine unredliche, auf Ihren Schaden sinnende Denkungsart, wie Sie solche (manche, wie ich glaube, gleichgültige kleine Vorgänge irrig in diesem Sinne deutend) in Ihrem literarischen Gegner vorausgesetzt und sich innigst dagegen entrüstet gefühlt hätten, geschrieben worden sey.
– So kam es also, daß ich es für gut hielt, Ihnen diese Geschichtserzählung meines Versuches zu machen, ohne zudringlich und unbescheiden zu werden, – und zwar schriftlich zu machen, damit Sie, wenn Ihnen mein Benehmen dabey nicht zuspricht, die Freyheit behalten, gar nichts darauf zu erwiedern, wodann auch von mir diese Sache weder im Gespräch noch sonst weiter angeregt werden soll.
Finden Sie es aber gut, mir auf diese Eröffnung zu antworten, so wünschte ich, diese Antwort möchte in dem Gesichtspunkt abgefaßt seyn, daß ich sie dem Präsid˖[enten] Jacobi zugleich mit diesem Schreiben an Sie, von dem ich eine Abschrift zurück behalte, mittheilen könnte. Mißfällt ihm dann mein Benehmen und der Erfolg desselben, so kann auch er mich ohne Antwort lassen, und die Sache bleibt ohne alle Bedeutung und ist wie nichtgeschehen, da sie blos zwischen uns dreyen verhandelt worden und ich wenigstens ernstlichst verspreche, daß sie von mir gegen Niemand, wer es auch sey, erwähnt werden soll.
Fragte mich nun jemand, was ich, den Herr Chr[i]stoph von Aretin so schon einen Götheschen Mittler gescholten, mit diesem Getreibe, mit diesem unberufenen Reden und Schreiben eigentlich wolle, so weis ich weiter nichts zu sagen, als daß ich es in Folge eines innren Triebes, der wie ein Instinct wirkt, thue und ihm folgend, zunächst, wie das bey solchen Seelenzuständen ist, meine eigne Freude bezwecke. Könnte mich etwas zurückhalten, diesen Brief an Sie abzusenden, so wäre es der Gedanke, daß zwey von mir hochgeachtete Männer vielleicht nur eine Eitelkeit darin sehen, die ich, an zwey merkwürdige Zeitgenossen mich andrängend, befriedigen wolle. Aber auch auf diese Gefahr hin gehe mein Blatt an Sie ab. Ich habe zeither oft Stunden, wo ich so nah am Ende meiner Erdenrolle zu stehen meyne, und mir so sehr ich diese Welt und diese Zeit übrigens liebe, alles irdische Getreibe so klein vorkömmt, daß auch Furcht vor Verkennung mich nicht schreckt, und wo ich im Bewußtseyn eines ehrlichen Willens und einer innigen Liebe zu Freund und Feind einen Muth fühle, der mir in dem Grad nicht zu jeder Zeit beywohnte oder doch nicht handelnd hervortrat, wo mir aber auch lange Feindschaften in einem so kurzen Leben doppelt unpaßlich erscheinen.
Mit aufrichtigster Hochachtung und inniger Freundschaft.