Ich wollte ruhig meine Angelegenheit betreiben und Ihnen erst nach etwas Erreichtem wieder schreiben und meine Streitschrift senden. Aber, ach! wie bin ich hier hingehalten worden! wie engherzig hat man mich in Jena aufgenommen! Verehrtester, Sie fänden das alte Jena nicht mehr, wenn Sie wieder herkämen. Ich fühle das Bedürfnis, etwas ausführlicher mit einem Manne zu reden, der, über solche Erbärmlichkeiten erhaben, mir verwandt urtheilt. Lassen Sie Sich einige Geschichten erzählen, aus denen Sie am besten meine Klagen begreiflich finden, wie schwer mir auch die Last fällt, Jämmerlichkeiten dieser Art in einigem Zusammenhange darzustellen.
Ich überreichte der Fakultät meine grosse Dissertation, deren I. Theil die Geschichte der Filosofie, der II. ihre Wissenschaftszweige, durchging und die von mir nur insofern unzwekmässig nach geschehener Cirkulazion gefunden wurde, wiefern ich darin gleich mit meinem filosofischen Bekenntnis herausplumpe. Vorher muss ich Ihnen sagen, dass man hier so plus minus an dem starren Kriticismus festhält. Gegen meine der sogenannten naturfilosofischen Spur folgende Schrift erhob sich nun besonders Reinhold. Sie ward »unverständlich, unklar, mystisch, abstrus, zu abweichend« usf. gefunden. Zudem hatte man (wol Reinhold) meine Religionszifferblätter aufgegabelt und mir (von ) auffallende Wortbildungen, sonderbare Wendungen und Verbindungen vorgeworfen. Die Empfehlung Eichstädts, dem ich Ihren und Otto’s, eines meiner Bauzner Lehrers, Briefe vorgelegt hatte, die mich an Eichstädt wiesen (der unter Voigt freilich das Factotum war), ward überschrien und wol gar, aus Abgunst gegen Eichstädt, schlecht empfehlend. Dekan Hand schloss seine Mittheilung mit den Worten »ich bedaure, dass Sie Herrn Professor Reinhold nicht besucht haben«. Ich eilte, dass Vergessne nachzuholen. Alle Fakultätsglieder (Hand, Eichstädt, Luden, Bachmann, Döbereiner) hatten mich sehr freundlich empfangen. Reinholds Güte war, dass er mich fragte, warum ich nicht in Erlangen oder Preussen mich habilitiren wolle? In Jena fehle’s an Lehrern der Filosofie nicht. Fries dürfe Privatissima darüber lesen; dann seyen Bachmann, Er und Scheidler, der wegen seines lustigen spasshaften Büchelchens, das einigen Friesianern gefallen habe, Professor extr[aordinarius] geworden sey. Auf Geldverdienst könne ich hier auch nicht rechnen, wo so Wenige, sehr viel Arme, studirten und jezt Alles für Ludens Deutsche und neure Geschichte ### sey, – weiter könne Luden nichts lesen. Übrigens maste sich der junge Alexander an, zu bemerken, aus Zusammenstellungen, wie ich sie in Bezug auf Geschichte der Filosofie gemacht habe, gehe die genaure Kenntnis der Filosofeme nicht hervor. Ich musste mich mit dem fleisigen Tennemann trösten, der ein wenig mehr Quellen studirt hat als Reinhold. Er sagte, Tennenmann habe die Filosofen nicht verstanden. Dann sprach er verächtlich von Platon, weil R[einhold] nichts aus P[laton] zu machen weiss oder weil P[laton] kein mechanisches Schema für Knaben aufgestellt hat. Fichte sey unwissend und undankbar gewesen (weil er nicht die Theorie der Vorstellungsvermögen kommentirte, der ihr Autor selbst untreu geworden ist,) sein Vater hab’ ihn empfohlen (auf die Kritik aller Offenbarung hin) und ihm den Weg gebahnt und gelehrt, wie man über Kant hinausgehen könne. Dann kamen Sie, Verehrter, an die Reihe. Der junge Weltweise, der sich rühmte, gleich vom Privatdocenten zum ordentlichen Professor an Fries Stelle (den er hasst, 1) weil er gegen seinen Vater schrieb, 2) weil er Privatissima liest,) berufen zu seyn und zwar, dis seyen Weimarer Consistorial-Ministerial-Worte »zum nüchternen (jejunen!) Forschen«, wodurch er in den Stand gesezt worden, zu heirathen, dieser bedeutende Mann, sag’ ich, war höchst unzufrieden mit Ihnen. Aber mit Hegel eben so. »Verrucht« nannte er H[egel]’s Logik. Weshalb er wol auch, und, sonderbar, Bachmann ebenfalls zur Michaelmesse eine neue Logik angekündigt hat, um den Hegel zu stürzen. (Wie weist man sich als Filsof aus? Man schmiere die 1001te Logik!) Oken sey gelehrt in den Naturwissenschaften: wolle er aber filosofiren, so werde er wahnsinnig. Die Naturwissenschaft solle man mit Filosofie nicht vermischen. R[einhold] schien zwischen Natur und Geist eine grössere Kluft anzunehmen, als zwischen Lazarus in Abraham’s Schoss und dem reichen Manne.Eichstädt sagte einmal »Ich hörte auch bei Schelling. Aber das war mir ein fluthendes Meer, keine Abschnitte, keine Einhaltspunkte, man wusste nicht, dass es Psychologie oder Logik oder Metafysik sey. Ich dachte, will denn gar nichts in meinen Kopf hinein? Ich begrif nichts und blieb weg«. Filologen sind an’s Fraseneinlernen gewöhnt und gewiesen. Dass Etwas in ihnen erwekt und heraus geführt werden solle, fällt ihnen, wie so Vielen, schwer, zu gewahren. – Geheimer Rath Schmid glaubt, Goethe habe ein Herz, wie sein Mefistofeles; Döbereiner sagt, Goethe sey der beste Mensch, den er kennen gelernt habe: nur Schade dass er für seine Farbenlehre (die Hegel in der Encyklopädie erhebt) keine Mathematik verstanden habe. Von der Naturfilosofie ist Döbereiner kein Freund. Ein Beispiel echter mathematischer Naturfilosofie sey das vor etwa 4 Jahren erschienene Werk von Fries darüber. – Luden hatte gegen Hegel nichts als dass er seinen Collegen Fries in den Vorreden so mishandle (doch bin ich nicht sicher, ob’s Ironie war, Luden ist satyrisch). Ich höre jezt MittelalterGeschichte bei ihm. Er hat einen volksthümlichen und gemeinfasslichen Vortrag, politisirt ausserordentlich gern und meist pragmatisch richtig und scharfsinnig. Er sagt oft, was sich geschichtliche Personen gedacht haben, z.B. »Du Racker! warte, ich will Dich« usw. Dann appelirt er an die Zuhörer »Ich bitte Sie um Christi willen, meine Herren!« usf. Oken empfing mich liebreich und bot mir seine Bibliothek zur Benuzung an. So sprach R[einhold] über noch Mehre ab. Nichts fand vor ihm Gnade. »Ein widerwärtiger Mensch« – »ein widerwärtiges Verhältnis« usw. waren immer seine Worte. Das Hübscheste war sein Geständnis »er folge seinem Vater nicht mehr ganz« (wenn er nur seiner Mutter gefolgt hat) und »er habe sich noch nicht ausgesprochen« (ich wünsche, dass er sich bald ausspricht). »Warum besuchten Sie denn die Leute vom Handwerk so spät erst?« fragte er mich. »Weil ich Filosofie für kein Handwerk halte« erwiederte ich. Meine frühern Antworten hab’ ich hier weggelassen. – Nun übergab ich eine kürzere Arbeit, so lichtvoll wie im Morgenblatt, über einen dem gemeinen Leben näher liegenden Gegenstand, die ich in dem Vorwort levior et vilis nannte. Die bat man mich zurük zu nehmen, weil sie zu klein und unbedeutend sey, als dass die Fakultät, die sich doch neuerdings eine Menge Rechte hat entreissen lassen, Auctoritate Ordinis vorsezen könne. Zudem sey sie auf so kleines Format geschrieben! und in ein Paar Tagen gemacht! – Nun suchte ich meine alte Abhandlung De Historia Hebraeorum, die ich vor razionalistisch zusammenschrieb, wieder hervor. Die cirulirte einen Monat und, ob ich mich mit ihr gleich der Competenz der Herren Fachfilosofie etwas entzog, von Reinhold frischweg Gegenvota! Jezt hat sie zwar das Imprimatur. Wenn ich aber die Ministerialerlaubnis nicht vorher, sondern, wie die Statuten besagen, nach Praestandis praestitis erst erhalten soll, so werde ich mich hüten, ein 10 Carolin wegzuschmeissen. Denn es geht ein drohendes Gerücht oder Gerede, mir werde nachher das Lesen verweigert werden, vielleicht weil C[hristoph] M[artin] Wieland noch fortwirkt. In meinem Curriculo vitae hatte man gefunden, ich sey mit der Basler Missionsgesellschaft in Bekanntschaft gekommen. Gleich machten die hiesigen Waschlogiker den scharfsichtigen Schluss »ich sey ein Traktätchenmacher«. Gleichfalls hatten sie gefunden (was ich freylich hätte übergehen können) »in Erlangen sey seit vor das Lesen vom Baierschen Ministerium verboten worden«. Dis nehmen sie hinzu. Dann hatte ich mir schon in gutem Glauben eine Winterwohnung gemiethet mit einer Küche: dies veranlasste die hier auch syllogischen Damen, zu schliessen, ich hätte Weib und Kind. (An eine Jenaerin wäre da allerdings kein Gedanke.) Einigemal hab’ ich vor ungeheuer-aufgeklärten Gelbschnäbeln über Glauben und Kirche anders, ihrer Meynung nach altmodischer, gesprochen als nördlich vom Thüringer Wald und bei Herrn Röhr Sitte ist: gleich wieder ein treflicher Vernunftschluss – ich möge wol in Rom oder Neapel katholisch geworden seyn. Von Protestantismus haben hier Einige eine grasse Vorstellung. Neulich sagte ein Stadtgerichtsekretariatsaccessist, Morgen- und Abend-Andachten einer Familie seyen wider den Geist des Protestantismus! Dann ist er ein verfluchtes Wort, das Freigeisterei bedeuten soll, wie sie von den Gelbschnäbeln auch in Genua, Rom, Neapel usw. unter Katholiken, bis zum epikurischen Atheismus gesteigert, angetroffen werden würde, wenn sie sich in der Welt umsehn wollten und könnten. – In Weimar ist ein ähnlicher Ton. Vor einer Woche besuchte ich den Minister v[on] Gerstdorf (die andern waren in den Hundsferien). Er schäzt von der Filosofie nur Logik, sagt, ein Filosof stürze des Vorgängers Lehre um. Dis sagen die meisten Geschaftsmänner und blosen Literaturzeitungleser, auch Ritter Lang. Ich glaub’ es nicht. Erstlich war der Ergründungs-Gegenstand allen wahren Filosofen derselbe: die Begründungs-Versuche fielen etwas verschieden aus, wie Fysionomien. Aristoteles, Plotinos, Bruno, Spinoza, Leibnitz, Schelling, Hegel, gehen auf das All aus. Aber auch einseitigere Forscher bilden ganz gesezlich nothwendige Zweige vorzugsweise aus oder sich hinein – die Gnomiker die Willenseite (Thun), die Pythagoreer die Erkenntnisrichtung (Denken), die Ioniker den Empfindung-Sinn (Seyn) usw. Bacon abgetrennt Erfahrung, DesCartes abgesondert den Begriff; Locke das vermeintlich Reale, das durch das Ideale nicht ergänzt zu werden brauche, Berkeley das Ideale herausgesondert usf. Zwischendurch flärret die filosofische Polizei und Gendarmerie der eben so natürlich erscheinenden Skeptiker und Kritiker. Übertreibt, misbraucht ein Buridanischer Esel unterweilen Etwas, das muss der heiligen Sache nicht aufgebürdet werden. –
Ja, vortreflicher Mann! wol sagte eine Pfarrerstelle meinem Herzen mehr zu, wie Sie an meinem Wesen bemerkt zu haben schreiben. Aber es bietet sich eben gerade keine dar. Ihre Worte »ich würde Einiges in meinen Anlagen zurüksezen oder zurükstellen müssen als akademischer Lehrer« hätte ich ein wenig bestimmter ausgedrükt gewünscht. Wol sollte ich hier – und das kann Ihre Meynung nicht seyn – meinen Weiser auf das Jahr zurükstellen; auf die Kritik des puren Verstands, auf die Theorie der wässrigen Vorstellungskraft. – Sie schlugen mir’s ab, theoretisch in meine schriftliche Arbeit einzugreifen aus Abscheu vor allem Unganzen usf. Ihre Würde und zugleich Ihre Milde bedenkend, fand ich es in Ihrem grossen Charakter natürlich. Wie, wenn ich Ihnen jezt noch etwas Praktisches anmuthe? Sie waren immer so freundlich, theilnehmend, herablassend gegen meine Wenigkeit. Das erwekte in mir Zutrauen und eine harmlose Kekheit, aber immer in bescheidnen Schranken. Sie werden Sich keines Gegentheils erinnern. Entschuldigen Sie also meinen neuen Einfall oder Anfall. In München soll eine alte, die Landshuter, Universität neu aufblühen. Mögen Sie nun von der Sache und von München denken, was Sie müssen oder wollen: für mich wäre vielleicht der Gedanke nicht so übel, dort als einer der ersten Privatdocenten zu erscheinen. Wenn dürfte wol die filosofische Fakultät eingerichtet seyn? Hätte ich nur die Vergünstigung von der Regierung, von der Fakultät wollte ich dann die Venia legendi durch meine Hebräerdisputazion schon erwerben. Gerade weil Sie jezt so selten Ihre Stimme erheben, würde Ihr Wort der Fürsprache, denk’ ich, um so grössres Gewicht haben. Und ich vergesse Ihnen gewis nichts Gutes, das Sie mir und vielleicht der Wissenschaft dadurch erzeigen. In Geldnoth bin ich nicht. Die Hand einer Schweizerin, mit der ich mich in Genua verlobt habe, sichert mich. – Ich wünsche, dass Sie nicht gerade im schönen Schwabenland auf Besuch seyn mögen, und flehe Sie um Ihre Verwendung und Antwort oder um Ihren Rath auf das Dringendste an!
Mit wahrer Hochachtung und Liebe und Begrüssung Ihrer Gemalin
Ihr
Hochwohlgeboren
dankbarster Schüler
JKA Müglich.
Meine Adresse bedürfen Sie nicht. Ich erbitte mir Ihren Brief unfrankirt.