Schelling

Schelling Nachlass-Edition


Herrn

MedicinalRath Dr. Schelling

in

Stuttgardt.

g[an]z frey

Liebster Bruder!

Was wirst Du von mir denken, daß ich so lange Dank und Antwort Dir schuldig geblieben? Einigen Theil an diesem Versäumniß hatte, daß ich im letzten noch sehr stark mit einem Collegium beschäftiget war, das ich zu lesen hatte – dann auch die Ungewißheit über die Rückkehr meiner Frau, worüber ich gern etwas Bestimmtes melden wollte. Ich erwartete sie mit Gewißheit letzten zurück, allein den zuvor kam ein Brief, der mir meldete, daß grade in der letzten Zeit sich so bedeutende und augenscheinliche Erfolge gezeigt haben, daß es nach dem Urtheil der Ärzte und allen andern Bekannten thörigt seyn würde, eben jetzt abzubrechen. Diese so höchst erwünschte Ursache ihrer verzögerten Rückkunft konnte ich mir wohl gefallen lassen; ich habe ihr nun geschrieben, so schwer es ihr auch fällt, noch diesen ganzen Monat in Carlsbad zu bleiben. Die Geschwulst hat nach der Beschreibung schon jetzt bedeutend abgenommen, der harte Leib ist im Ganzen, stellenweise aber völlig, erweicht, die Absonderung scheint besonders durch den Urin vor sich zu gehen, und auf jeden Fall wird man jetzt eine dynamischere, Deiner zuletzt geäußerten Vermuthung analogere Ansicht des Übels fassen müssen. Dieser glückliche Erfolg ist gegen die Erwartung aller unsrer hiesigen Ärzte, aber selbst Mitterbacher in Carlsbad gab anfangs nur sehr unbestimmte und höchstzweifelhafte Hoffnungen. Gott sey Dank, daß die Sache sich noch so gewendet!

Mir entgeht nun zwar damit eine sehr angenehme Hoffnung, indem ich dachte, in diesem Monat noch mit meiner Frau einen kleinen Ausflug nach Stuttgart zu machen: ich könnte diesen zwar auch für mich, in Begleitung meiner beyden Knaben unternehmen, aber bey der Ungewißheit der Maßregeln, die vielleicht für den ergriffen werden müssen – denn es wäre wohl möglich, daß meine Frau im Winter abermals nach C˖[arls]bad müßte, um das Übel nicht wieder aufkommen zu lassen und wo möglich mit Stumpf und Stiel auszurotten, und in diesem Falle würde ich mich wohl entschließen, die beyden Jungen nach Nürtingen zu bringen, um mich hier von aller Haushaltung frey zu machen – wegen dieser Ungewißheit also und da ich über dem noch so manche Arbeit zu beendigen habe, muß ich mir das so sehnlich gewünschte Vergnügen, Dich und Deine liebe Frau diesen noch zu sehen vor jetzt wenigstens versagen.

Die Güte Deiner lieben Frau, welche selbst den Dr. Goluchowski mit Geschenken für meine Kinder versah, hat mich wahrhaft beschämt, ich überlasse meiner Frau, ihr noch besonders dafür zu danken. Ich für meine Person danke Dir und ihr vorzüglich für die schönen Trauben, die mich wahrhaft erquickt haben. Sie sind zwar in unsrer Nähe nun auch schon reif und recht gut zu haben, aber alles vaterländische hat eine besondre Süßigkeit.

An dem fortdaurenden Wohlbefinden Deiner lieben Frau nehmen wir beyde den freudigsten Antheil. Wir zweifeln nun nicht mehr (obgleich wir nie gezweifelt) daß Deine und ihre Hoffnungen mit dem frohesten Erfolg werden gekrönt werden. Es ist ein großes Anliegen von uns beyden, Deiner lieben Frau vor dieser für sie so wichtigen Epoche noch die Sorge für Clärchen abzunehmen; allein durch unsern nächsten Plan hat nun die längere Abwesenheit meiner Frau einen Strich gemacht; was denn etwa später noch möglich ist wird von den Einrichtungen abhangen, die wir für den Winter zu treffen veranlaßt seyn werden, und vor sieht wohl doch Deine liebe Frau ihrer Entbindung nicht entgegen?

Sey’ so gut, der Frau Obristin von Haller nebst meiner Empf[ehlung] die anliegende Quittung des hiesigen Handschuhmachers zu übergeben. Da ich aus dem Briefe der Frau von H˖[aller] geseh’n daß er schlechte Waare geliefert, hätte ich gern die Auszahlung bis zur Rückkehr meiner Frau aufgeschoben, welche wohl einen verhältnißmäßigen Abzug zu bewirken gewußt hätte; da ich aber aus dem Briefe sah, daß Frau von H˖[aller] die Sache kurz beendigt wollte, so habe ich ihn denn bezahlt.

Lebe nur recht wohl, lieber Bruder, empfiehl mich bestens Deiner lieben Frau, und allen werthen Gönnern und Freunden – auch an unsre Schwester die herzlichsten Grüße!
Dein
tr˖[euer] Br˖[uder]

Fr.