Schelling

Schelling Nachlass-Edition


Liebster Karl!

Es liegt mir schwer auf dem Herzen, daß ich Dir so lange nicht geschrieben und nicht einmal für Deine letzten reichlichen Traubensendungen gedankt habe. Tage, Wochen ja Monate vergehn, daß man kaum weiß wie; es ist ein wahres Elend, in einer großen Stadt zu leben, wo, man ziehe sich zurück so viel man will, der Zerstreuungen und Störungen kein Ende ist. Das Beste ist noch, daß wir uns diesen alle leidlich befinden. Die kalte Witterung wird nun doch endlich auch der Epidemie in Stuttgart ein Ende gemacht haben. Ich hoffe, daß Du allen Anwandlungen entgangen bist. Eine andre Epidemie scheint auch noch in Stuttgart zu grassiren, die Narrheit der Mummereyen, welche man mit den Schulknaben veranstaltet, die jezt auch schon für Politik, Verfassung und dergleichen bearbeitet werden. Was würden unsre ehrenhaften Altvodern zu solchen Possen gesagt haben, wie die, welche man in Stuttg˖[art] den Zuhörern des Gymnasiums erlaubt hat? Wenn das Ihre Zuhörer sind, was müssen dann erst die Studenten mit den Universitäten seyn und nun vollends gar die Professoren? Der alte König würde diesen Herrn eine gute Lection über dergleichen gelesen haben. – Diese Tage kam auch ein Wirtemberger zu mir, ein gewisser Seybold, weiland wie er sagte Magister und Vicarius, ein wüster Gesell. Gibt es dergleichen jetzt mehrere? doch wohl nicht, denn bey dem scheint es in der Familie zu stecken, er sagt mir daß er ein Bruder von dem sauberen Zeitungsschreiber ist. Wenn wir hier in manchen Dingen vielleicht zurück sind, so genießen wir dagegen des Vortheils daß auch gar vieles andre Schlechte und Alberne uns nicht berührt. Natürlich ist jetzt alles sehr gespannt auf die Wiener Resultate, doch fürchten wir noch immer meist, etwas von unsrer Verfassung einzubüssen. Der Wirtembergische Abgesandte – oder, was er ist – der Herr Geh˖[eim]Leg[ations]Rath von Trott, ein ehmaliger Zuhörer von mir, den Du ja auch von Jena her noch kennen mußt, hat mich auf der Durchreise grüßen lassen, da er sich nur 1/2 Stunde aufgehalten. – Unsrem Vetter Cleß gönne ich sein Glück, und will hoffen, daß er als Hofcaplan auch von manchen albernen Vorstellungen zurückkomme, die er aus Norddeutschland mit gebracht hat. Vielleicht hat er sie schon in Italien gelassen.

Nun leb’ recht wohl, grüße Deine liebe Frau herzlich von uns, und gib der Schwester den inliegenden Brief.
Dein
tr˖[euer] Br˖[uder]

Fr.