Schelling

Schelling Nachlass-Edition


No. 5.

Das hat Dir ein guter Engel eingegeben, mir über Murnau zu schreiben. Höre, und wundre Dich! Abend blieb ich auf, bis ich das Horn des Briefreiters hörte, mehr als Paul darüber erfreut, denn ich erwartete nichts gewisser als einen Brief von Dir. Aber kein Brief, nicht einmal ein Brieflein! Wie es damit zugegangen, weiß ich nicht, genug es ist so! Sahst Du nicht, oder vergaßest, daß der Brief schon Vormittags, ich glaube spätestens 11 Uhr auf der Post seyn muß? Oder wurde er nicht richtig bestellt? Oder ist er auf der Post liegen geblieben? Denk Dir nun meinen Zustand! Er war wahrlich nicht beneidenswerth. Noch war Hoffnung, Dein Brieflein sey nach Mittewald mitgegangen, weil hier das Paket nicht eröffnet wird, und er komme heute von dort zurück. Wieder nichts! Nun bekam ich solche Sorge, trotz eines Traums in der Nacht, der mich zu trösten schien, daß ich beschloß, Knall und Fall nach Haus zu reisen. Alles war so gut wie gepackt, ein Einspänner bestellt, der mich den Nachmittag noch nach Benedictbeuren brachte – nun auf Einmal kam Dein Brief, ein Mann brachte ihn, von Schleedorf, wo er bey’m Waizinger Bier geholt hatte. Denke Dir mein Erstaunen, wenn ich las: »Weil der Brief erst am fortkomme, wollest Du mich so lang’ nicht ohne Nachricht lassen und den andern Weg versuchen.« Dazu freylich hat nun Dein -Brieflein nicht gedient, es kam erst am Samstag, aber es sollte ein andres Mißgeschick gut machen, woran ich nicht und Du noch weniger dachtest. Sage nun, sehe ich nicht wieder augenscheinlich, daß meine liebe Frau unter dem Einfluß guter Geister steht, ja selbst mein guter Geist ist? Dafür halte ich Dich ganz und gar; möchtest Du mir nur in allem rathen, gefragt und ungefragt, und immer und in allen Dingen mein Orakel seyn! Wenn ich glücklich wieder zu Dir komme, maß’ es Dir an, mein Liebchen, oder maß’ es Dir vielmehr nicht an, übe nur wozu Du berufen bist. In Dir ruht mein Glück, und noch inniger, als vor jetzt bald , wünsche ich auf 40 im Ganzen mit Dir leben zu können, Du gutes Kind. Gott geb’s, jetzt wünsch’ ich es recht, vorher war mir seyn oder nichtseyn ziemlich gleichgültig. – Nun ich Dein Brieflein hatte und doch nur 3 Tag’ alte Nachrichten, schien es mir Thorheit zu gehen; in einem Augenblick waren meine kleine Habseligkeiten wieder ausgepackt, in einer Viertelstunde alles in der alten Ordnung. Gott sey gepriesen, daß alles so gut steht – Du (denk nur auch und zuerst an Dich!) so wohl, und die Kinder so wohl! Ich blieb in so weit gern, als ich im besten Thun war, als ich gewiß bin, daß wenn mir Gott Gesundheit und Leben erhält, ich dießmal gewiß das Werk zu Stande bringe. – Höre nun, wie ich mir alles ausgedacht hatte. Zuerst sollte der Schrank vor meiner einen Thüre weg, damit ich nicht nöthig hätte, Abends Leute zu sehen; dann mit Deiner Bewilligung alle zu mir führende Thüren wohl geschlossen werden; hierauf mit Dir zu Rath gegangen, ob wir nicht lieber Mariä-Einsiedl für 100 fl. miethen wollten, wo so lang’ es noch frisch und nicht heißer wäre, ich allein im untern Zimmer hausen wollte, all’ ander Tage entweder Dich in München besuchend, oder von Dir besucht, oder mit Dir unterwegs zusammentreffend. Im hohen Sommer, bis wohin ich mit meiner Arbeit gewiß fertig war, solltest dann auch Du mit den Kindern herausziehen, und ich entweder in den Saal, oder in die Stadt. Was hältst Du nun von diesem Plänchen, dessen Kosten durch Abrechung dessen, was mein hiesiger Aufenthalt und die in jenem Fall aufgegebne Reise nach Schleedorf erfodert hätte, gewiß wären gedeckt gewesen? Ich gestehe Dir, dieses Plänchen hat einen rechten Stein bey mir im Bret, oder vielmehr es ist mir ein Stein auf dem Herzen, daß es mir nicht früher eingefallen, denn es vereiniget alles, was ich nur wünschen konnte. Ich will Dir noch mehr gestehen, aufgegeben ist es nicht ganz. Fahre ja einmal, wie Du im Sinn hattest, mit Paulchen dorthin, lade Frau von Gärtner und ihren Schwiegersohn dazu ein, das Häuslein anzusehen, ob es noch einen Sommer bewohnbar ist, d.h. nicht plötzlicher Einsturz droht. Mein Zweck würde dort so gut erreicht als hier, nur störte mich nicht die Sorge für Frau und Kinder. Denke immer ein wenig darüber nach, und zwar gleich, nämlich ob es Dir anständig ist, und ob es sich bald und leicht ausführen läßt. Denn daß ich heute hier geblieben, ist noch immer kein Beweis, daß ich nicht einmal über Nacht mich entschließe, wegzureisen. Denn wohl wird es mir hier doch nur in meiner Arbeit, oder wenn ich an Dich schreibe oder von Dir ein Brieflein erhalte; ich bin nicht krank und nie in der Arbeit durch Übelbefinden gestört, aber doch auch nicht ganz wohl, weil ich sehr im Unterleib leide, sey’ es das ungewohnte Essen, die hier noch immer rauhe Luft, sey es daß ich alt genug bin, um die zarte Pflege einer geliebten Frau nicht ganz entbehren zu können. Laß’ Dich durch keinen Umstand dabey bestechen, folge Deinem geraden Sinn und Urtheil, aber, leuchtet es Dir ein, so können wir unsre Trennung sehr abkürzen, und am liebsten wäre mir, wenn ich sogleich, ohne erst nach München zu gehen, dort einrücken könnte; dazu gehörte weiter nichts, als mit des Müllers Wagen mein Bett hinausschicken, meinen Schreibtisch (den in der Speisekammer) und ein Paar Stühle.

Gestehe nun meine große Genügsamkeit; den -Brief habe ich noch nicht, nur das Brieflein vom , und doch bin ich glücklich und zufrieden. Nachrichten hoffe ich keine, als höchstens am durch den Mittewalder Boten, wenn Du ihm anders nicht, in der Meynung die Post gehe zweymal in der Woche, dießmal noch versäumt hast. Also vor keine gewisse Briefe! Und vielleicht auch dann nicht, wenn es den gnädigen Herrn auf der Post nicht gefällt. Und doch preise ich Gott daß ich heute den Trost gehabt habe, die Zeilen von Dir zu erhalten. Du scheinst inzwischen nur den einen Brief von mir erhalten zu haben, den ich mit dem Kutscher abschickte, mehr läßt sich aus Deinem Brieflein nicht abnehmen. Seitdem habe ich Dir noch zweymal geschrieben, einmal durch die Post, das andremal () durch einen Münchner Kutscher, dem ich ein Trinkgeld versprochen, wenn er den Brief überliefere. Schreibe mir jedesmal genau, wie viele Briefe Du erhalten. Dieser hier ist No. 4.

Du schreibst mir von Frizchen nichts insbesondere; das Bild des Kindes erquikt mich in bloßen Gedanken. Wenn ein Brief von Eichstädt kommt, den mach’ auf und schreibe im Fall es nöthig wäre, ich sey verreist. Den von Cotta mach’ nur auch auf und schick’ ihn mir bald.

War nur Gottes Wille, daß ich noch länger hier bleibe, so versäume mir ja den Mittewalder Boten nicht. Eigentlich darf er keine versigelten Briefe mit nehmen, außer es ist Geld drinn. Lege also jedes mal einen 12ler hinein. So bekomm’ ich doch in der Woche zweymal Nachrichten. Den Brief den Du auf die Post gibst, schicke Freytag Vormittags 10 Uhr hin und addressire so:
An – – abzugeben auf dem Posthaus
in
Wallersee
über Benedictbeuren.
Man bittet den Brief in’s Benedictbeurer Felleisen zu thun (dieß setz’ bey und laß’ es sagen!)

Für heute schließ ich nun und drücke Dich und die Kinder in Gedanken an mein Herz. Was mir noch beygeht, setz’ ich bey. Gott segne Dich, Du Liebste.

Da in der Welt nichts unmöglich ist, so könnte wohl gar dieser Brief wieder hieher nach Wallersee gehen, wenn ich ihn an mich überschriebe, darum an Dich! – Sage mir, ob andre Briefe richtig ankommen, die vom Ausland nämlich.

Diese letzte Abendstunde sey Dir geweiht, Du liebes Herz. Denn ich bin müde vom Arbeiten, und würde, wie gern! diese Stunde mit Dir verplaudern. Warum können wir es doch zu Hause nicht auch so einrichten, daß ich den ganzen Tag so stetig arbeite, und dann den Abend mit Dir in freundlichem Gespräch feyre? Wie mancher Genuß entgeht uns dadurch! Es kann doch, unabwendliche Fälle ausgenommen, nur an dem Willen liegen – meinem, und auch Deinem? und an der Einrichtung. Denke einmal recht darüber nach und entziehe mir Deinen klugen und verständigen Rath nicht, denn ich will mein Leben durchaus auf diesen Fuß setzen. – Wenn und wann Du nach Schleedorf gehen willst, schreibe mir doch aufrichtig, wolle mich nicht überraschen! Auch darum nicht, weil ich nicht weiß, wie gesagt, ob ich nicht einmal über Nacht aufbreche; und wenn dieß auch nicht geschieht, wer will mir wehren einmal einen Besuch in München zu machen, da ich es so lange, als meine Arbeit bey der schnellsten Beendigung dauert, ohne Dich und die Kinder gesehn zu haben nicht aushalten kann, auch wohl einmal ein Abschnitt kommt, bey dem ich schlechterdings ein Paar Tage ausruhen muß. Das kann ich hier nicht; arbeit’ ich nicht, so habe ich keine Unterhaltung und verreis’ ich nach Schleedorf oder sonst wohin, so gehe ich ebenso leicht, ja am Ende wohlfeiler nach München, da ich eine solche Reise, nach eingezogner Erkundigung, sehr wohlfeil einrichten kann. Und weit fröhlicheren Sinns, neu gestärkt und ermuthigt würde ich zu einem zweyten Aufenthalt zurückkehren; es wäre denn, Du wolltest um die Zeit eben nach Schledorf gehen, dann wäre es ein Anderes. Aber wissen muß ich dieß durchaus. Denn es wäre doch gar zu traurig, wenn ich nach M˖[ünchen] reiste und Du indeß nach Schleedorf; doch verlange ich nur die Woche nicht den Tag zu wissen. Nun schlaf’ wohl für heute, Du Liebe, mit Deinen süßen Kindern, ich bin müd’ vom Schreiben und die Augen müssen ausruhen.