Schelling

Schelling Nachlass-Edition


Bis heute hat alles seinen ordentlichen, erwünschten Verlauf. Mutter und Kind sind wohl; Pauline ist im Bette schon wieder besser aussehend geworden und hat sogar etwas von ihrer Magerkeit verloren. – Die übrigen Kinder sind völlig gesund.

Mitten in diesem glücklichen Verlauf hat mich eine sehr schmerzhafte Botschaft betroffen. Meine gute Mutter ist nicht mehr. Wohl ihr! Mitten in der Freude und der ganzen Regsamkeit ihres Thuns und Wirkens hatte sie nicht aufgehört, nach der Wiedervereinigung mit ihrem vorangegangnen Manne sich zu sehnen, mit dem sie 40 Jahre in glücklicher Ehe gelebt hatte. Aber für uns ist der Verlust groß und unersetzlich. Ein liebevolleres, herrlicheres Gemüth werden wir nicht mehr sehen. Sie starb auf eine für sie glückliche, für uns ebenfalls schmerzliche Weise; nicht in ihrem Hause, in Cannstadt ereilte sie der Tod, wohin sie nach der Nachricht von dem neu gebornen Enkelchen mit meiner Schwägerin und einer anderen Vellnagel’schen Tochter in der Frühe gefahren war, und (ohne Karl’s Wissen) ein Bad nahm, das ihr wie sie sagte trefflich bekam; auch hatte sie sich noch angekleidet und das Zimmer aufgeschlossen; als aber die Schwägerin kam, sie abzuholen, fand sie die gute Mutter an der Erde sitzend, ihren Kopf gegen ein Tisch’chen lehnend und unfähig, vernehmliche, passende Antwort zu geben. Der Badearzt war gleich bey der Hand, kurze Zeit später Karl mit meiner Schwester, alles wurde angewendet, auch erlangte sie für einige Augenblicke wieder völlige Besinnung und Sprache, aber das Übel war nicht aufzuhalten, und Abends machte ein Stickfluß, der sich zu dem Schlagfluß gesellte, vollends auf sanfte Art ihrem Leben ein Ende. Man ließ sie die zwey ersten Tage in Cannstadt, wo ihre Kinder abwechselnd Tag und Nacht bey ihr blieben, holten sie sie feyerlich nach Stuttg[art]. Am 4ten (den ) wurde sie begraben. Friede über der guten Mutter und ewiger Lohn! Sie hat uns alle im Herzen getragen mit immer gleicher Liebe, Geduld und Bereitheit zu jeder Aufopferung, unter unscheinbarer Form verbarg sie ein tiefes, reiches, in Liebe gegen alle überfließendes Gemüth. Mir muß ihr Tod am schmerzlichsten seyn, da ich im Leben so früh’ von ihr getrennt und stets nur wieder auf kurze Zeit mit ihr vereiniget wurde. Auch meine Kinder haben viel an ihr verloren; noch einige Monate und sie hätte diese Enkel noch gesehen, den ältesten, der, jetzt ein lieblich blühender Knabe, ihrer unermüdeten Pflege seine Gesundheit, vielleicht sein Aufkommen verdankt, den jüngeren, dessen tiefes stilles Gemüth sie innig angezogen haben würde, vielleicht auch Caroline , in der jedermann das leibhafte Ebenbild von ihr sehen will.

Noch weiß Pauline von diesem Verluste nichts.

Leben Sie recht wohl und behalten Sie uns in gutem Andenken.
Ihr
geh˖[orsamster] S˖[ohn]

Sch.