Schelling

Schelling Nachlass-Edition


Ihr zweyter Enkel, liebste Großmamma, ist glücklich geboren; wenige Stunden nachdem Pauline den Brief an Sie geschlossen, stellten sich die ernstlichen Schmerzen ein und schon um 10 Uhr Abend begrüßte der kleine Ankömmling die Welt mit lautem und lebhaftem Geschrey. Die gute Pauline hat eher von der Schnelligkeit als der Langsamkeit der Geburt gelitten, aber auf jeden Fall unvergleichbar weniger, als das erstemal. So vollkommen und wohlgenährt als Paul war, ist das Kind nicht, wahrscheinlich hat die magere Kost auf dem Lande den Haupttheil daran, aber an munterm, menschlichem Aussehn und reger Lebendigkeit gibt der Kleine dem Bruder nichts nach; es ist ein äußerst niedliches Kind, das in Gebärden und der allgemeinen Form unverkennbare Ähnlichkeit mit dem Bruder hat, in den Gesichtszügen scheint es der Mutter ähnlicher als Paul zu werden. An weiblichem Beystand hat es unsrer guten Pauline nicht gefehlt; Frau von Breyer und Frau von Gaertner waren gegenwärtig; daß unsre liebste treueste Freundin nicht fehlte und mit Mutter und Kind unermüdlich beschäftiget ist, denken Sie sich ohnehin. Der liebenswürdigste Paul schlief die ganze Nacht ohne sich zu rühren; diesen Morgen hat er mit dem ihm eignen freudigen Erstaunen das Brüderchen betrachtet. Kurz wir können dem Himmel nicht genug danken, daß alles bis jetzt so leicht so glücklich vorübergegangen. Ihrem liebevollen Andenken brauche ich Mutter und Kind nicht zu empfehlen. Wenn es verdrießlich ist, daß diese für Sie so frohe Nachricht bis nächsten liegen bleiben muß, so gewährt es mir von der andern Seite den Vortheil, Ihnen gleich von dem fernern Befinden der Wöchnerin, das nicht besser seyn könnte, weitere Nachricht zu geben. Daher ich den Brief heute nicht schließe. Frau von Gärtner weiß sich nicht wenig mit dem allerdings sonderbaren Zufall, daß Paul an ihrem, der neue Ankömmling (wie er heißen soll wissen wir noch nicht) an Herrn von Gaertners Geburtstag das Licht der Welt erblickt. Sie werden Ihre Reflexionen darüber machen daß es doch wieder nach Paulinens Kopfe gehen mußte und der Kleine kein Mädchen, wie jedermann prophezeyen wollte, sondern ein Knabe ist. Die nöthigen Briefe nach Gotha mit Bitte um gütige Besorgung lege ich noch bey. Da Sie in Ihrem letzten Briefe von spätem Ankommen und erhöhtem Porto der hiesigen Briefe schreiben, so habe ich auf Erkundigung die zuverläßige Antwort erhalten, daß die Briefe nicht über Frankfurt, sondern wie sonst über Nürnberg geschickt werden. Vielleicht daß Pauline bisweilen versäumt ganz frey zu schreiben, obwohl auch sonst sächsische Posten dafür bekannt waren, ganz freygemachte Briefe wieder herabzusetzen. Unsrer Meynung nach sollen die hiesigen Briefe Ihnen gar keine Auslage machen; seit Jahr und Tag besteht die Übereinkunft mit Sachsen, daß die Briefe dorthin von hier ganz freygemacht werden können. Sollten Sie also wieder einen solchen Brief spät und mit Kosten erhalten, so bitte ich Sie das Couvert an mich zurückzuschicken; dann wird Freund Pfetten Untersuchung halten, und es wird sich zeigen, wo der Unfug getrieben wird.

Samstag den

Bis jetzt ist alles gut gegangen. Das Kind fängt eben an, die Brust zu nehmen. Ohne Schmerzen geht es dabey nicht ab für unsre gute Pauline. Sie zeigt aber viel Geduld und Ergebung, besonders da dem guten Kind die Muttermilch sehr nöthig scheint. Das Milchfieber hat sich, doch nicht stark, eingestellt. Wir hoffen, mit Gottes Hülfe soll auch dieses vollends bald in Ordnung kommen. Pauline ist durch die Niederkunft nicht geschwächt und hat die Versuche, das Kind zum Trinken zu bringen, das übrigens äußerst nahrungsbegierig ist und sich viel geschickter dabey zeigt als Paul, wohl ausgehalten. Daß alles geschieht, die Umstände zu erleichtern, sind Sie überzeugt. Pauline war recht glücklich, eine solche ordentliche diensteifrige und zuverlässige Person aus Würtemberg zu ihrer Wartung zu erhalten. Sie verlangt, ich soll Ihnen dieß ausdrücklich schreiben, daß sie auf’s Beste gepflegt wird. Noch größere Beruhigung hoffe ich Ihnen schon den nächsten Posttag geben zu können.

Leben Sie recht wohl, und unsrer eingedenk
Ihr
gehors˖[amster]

S.